Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu Trump/Syrien: In einem Dilemma von Reinhard Zweigler
Regensburg (ots)
Nach allem, was man bisher weiß, war es das furchtbare Nervengift Sarin, mit dem vergangene Woche über 80 Menschen in der syrischen, von Rebellen beherrschten Stadt Chan Schaich qualvoll ums Leben gebracht wurden. Dieses Giftgas wurde einst in Nazi-Deutschland von Ingenieuren des Konzerns IG Farben entwickelt. Nur das nahe Ende des Zweiten Weltkrieges verhinderte, dass der verheerende Kampfstoff von Hitlers Armee noch eingesetzt werden konnte. Doch die Büchse der Giftgas-Pandora war geöffnet. Im Kalten Krieg legten sich die Großmächte dieses und andere chemische Massenvernichtungsmittel zu. Bis sich endlich die Vernunft Bann brach und diese Waffen völkerrechtlich geächtet wurden. Dennoch wurde das Gift auf Kriegsschauplätzen mehrfach eingesetzt. Mit schrecklichen Folgen, etwa im Irak-Iran-Konflikt in den 80er Jahren, vom chilenischen Diktator Pinochet gegen Demokraten, von einer japanischen Sekte in den 90er Jahren gegen wehrlose Zivilisten in der U-Bahn. Der syrische Diktator Baschar al-Assad ließ das Gift 2013 gegen Aufständische und Zivilbevölkerung in der Stadt Ghuta einsetzen. Auch damals war die Empörung der Weltöffentlichkeit groß. US-Präsident Barack Obama sagte, dass der Diktator eine "rote Linie" überschritten habe. Doch vor einem Militärschlag, wie jetzt sein Nachfolger im Weißen Haus, schreckte Obama zurück. Immerhin war der internationale Druck auf Assad so groß, dass der in die international kontrollierte Vernichtung seiner Chemiewaffen einwilligte. Das wurde damals als großer Sieg der Diplomatie gefeiert, an dem auch Deutschland großen Anteil hatte. Doch offenbar hat Assad die Welt kaltblütig hinters Licht geführt und nicht alle Arsenale geöffnet. Oder er hat sich in der Zeit danach diese perfiden Waffen wieder beschafft. Dafür spricht einiges. Donald Trump hat angesichts des schrecklichen Kriegsverbrechens - und anders als der zögerliche Barack Obama vor vier Jahren - mit einem Schlag von 59 Lenkraketen auf den Militärstützpunkt Al-Schairat geantwortet. Doch damit stürzte der US-Präsident die Welt in ein Dilemma. Der Raketenangriff nämlich ist vom Völkerrecht nicht gedeckt. Trump rechtfertigt die Militäraktion, die er kurz zuvor den Nato-Verbündeten sowie Moskau ankündigen ließ, mit dem Leid der Giftgasopfer und dem Schutz der syrischen Bevölkerung. Dieses Ziel wird jeder, der zu Mitleid und Mitgefühl fähig ist, nachvollziehen können. Dennoch bleibt die Frage bestehen, ob man zur Verhinderung weiterer schlimmer Verbrechen das Völkerrecht außer acht lassen darf? Diese Frage ist in der jüngeren Geschichte nicht neu. Sie stellte sich etwa bei den Nato-Aktionen gegen Serbien im Kosovo-Krieg Ende der 90er Jahre. Sie stellte sich ebenfalls in den beiden Irak-Kriegen der USA sowie in Afghanistan. Auch damals wurden Militäraktionen unter, wenn man so will, "Umgehung" oder zumindest großzügiger Auslegung des Völkerrechts, unternommen. Allerdings haben die Waffengänge in den betroffenen Ländern und Regionen weder Frieden, noch Stabilität und erst Recht keine Demokratie gebracht. Das Dilemma im Fall Syriens bedeutet, solange der Uno-Sicherheitsrat, der sozusagen für die Durchsetzung des Völkerrechts zuständig ist, durch das Veto-System gelähmt ist, erhielten blutige Diktatoren vom Schlage eines Baschar al-Assad freie Hand. Sie könnten, gleichsam unter dem Schirm des empörten Nichtstuns der internationalen Gemeinschaft, weiter mit Giftgas, Fassbomben und anderen Waffen morden. Möglicherweise braucht es zur Lösung des vertrackten Syrien-Konflikts neben entschlossener Diplomatie auch andere Instrumente, etwa wirksame Sanktionen und die wirkliche Verhinderung von Waffenlieferungen. Doch ganz ohne Militärschläge - und vor allem einem politischen Konzept, in das sie eingebunden sein müssen - wird Diktatoren nicht beizukommen sein.
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