Mittelbayerische Zeitung: Eine klare Strategie tut not
Nordkorea testet erfolgreich eine Interkontinental-Rakete, die Ziele überall in den USA erreichen kann. Der Atomstreit droht, gefährlich zu eskalieren.
Regensburg (ots)
Der Zeitpunkt rückt näher, an dem Donald Trump Farbe bekennen muss. Der "kleine Raketenmann" in Nordkorea ignoriert seine kraftmeiernden Drohungen so sehr, wie die umsichtige Diplomatie seines Vorgängers. Zumal Trump in einem CBS-Interview vom April eine "rote Linie" gezogen hatte. Ohne "wenn" und "aber" erklärte der Präsident, er werde die Entwicklung weitreichender Trägersysteme durch Nordkorea nicht erlauben. Genau das ist mit dem erfolgreichen Test der Hwagsong-15 nun geschehen. Die nach dem Kriegsgott "Mars" benannte Rakete stieg ohne Vorwarnung mitten in der Nacht in einem steilen Winkel rund 4475 Kilometer hoch auf, legte dann über 53 Minuten in östliche Richtung eine Distanz von 950 Kilometern zurück, bevor sie jenseits der japanischen Honshu-Insel ins Meer stürzte. Unabhängige Experten bestätigen, die weiterentwickelte Interkontinentalrakete könne jedes Ziel in den USA erreichen. Unklar blieb, ob die Interkontinental-Rakete auch mit der vollen Last eines Atomsprengkopfs diese Reichweite erzielen könnte. Das gleiche gilt für die Fähigkeit der Nordkoreaner, einen Sprengkopf auf die Rakete zu montieren, sicherzustellen, dass dieser den Wiedereintritt in die Atmosphäre übersteht, und ein vorbestimmtes Ziel zu treffen. Bisher, so die Fachleute, seien die Raketen bloß in den Pazifik gefallen. Egal, wie die Kapazitäten des Regimes im Moment auch sein mögen, technologisch handelt es sich nur um eine Frage der Zeit, wann Nordkoreas Raketenbauer auch dieses Problem meistern werden. Trump reagierte zunächst kryptisch auf die neuerliche Provokation, mit der Nordkorea nicht nur seine neue Raketentechnik testete, sondern auch den Willen der Supermacht. "Wir werden uns um die Angelegenheit kümmern", erklärte der US-Präsident, der dem kommunistischen Land bei der Vollversammlung der Vereinten Nationen im September mit der "totalen Zerstörung" gedroht hatte. Später kündigte er neue "größere Sanktionen" an. Dass Trump damit einmal mehr das tut, was seine Vorgänger auch schon taten, lässt hoffen. Vielleicht gelangt der Präsident zur Einsicht, dass es keine militärische Lösung des Atomstreits gibt, die moralisch erlaubt wäre. Ein Krieg auf der koreanischen Halbinsel hätte das Potenzial nuklear zu eskalieren und sich schnell zu einem größeren Konflikt in der Region auszuweiten. Zur Erinnerung: Der erste Korea-Krieg brachte weit über 2,5 Million Menschen den Tod, darunter mehr als 36 000 US-Soldaten. Das war 1950, zu einer Zeit, als die Waffentechnik noch nicht so zerstörerisch war wie heute. Wer hier leichtfertig mit den Säbeln rasselt, versteht den Ernst der Lage nicht. Oder nimmt die potenziellen Konsequenzen billigend in Kauf. Damit ist das Dilemma der Trump-Politik gegenüber Nordkorea klar umrissen. Es fehlt ihr an Glaubwürdigkeit. Und Kim Jong Un hat diese konzeptionelle Schwäche mit dem Test der Interkontinentalrakete offengelegt. Der Präsident muss das strategische Kuddelmuddel endlich beenden. Statt mit "totaler Vernichtung" zu drohen, die auch das Leben der rund 25 000 US-Soldaten in Südkorea sowie Millionen Zivilisten in der Region in Gefahr bringt, sollte er eine Eindämmungspolitik verfolgen. Eine solche Strategie hielt einen paranoiden Massenmörder wie Stalin in Schach, der über ein wesentlich größeres atomares Vernichtungspotential verfügte. Und sie wird auch Kim abschrecken. Vor allem wäre sie ehrlich und schaffte dringende Klarheit in einer Situation, die andernfalls gefährlich außer Kontrolle zu geraten droht.
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