Mittelbayerische Zeitung: Donald Münchhausen
Regensburg (ots)
Stellen wir uns für einen Moment vor, der Präsident, der seine "State-of-the-Union" 82 Minuten lang vom Teleprompter ablas, sei der wahre Donald Trump. Ein Mann, der darauf verzichtet, andere Länder als "Dreckslöcher", Einwanderer als "Vergewaltiger" und den Oppositionsführer im Senat als "Schreibaby" zu denunzieren. Stellen wir uns darüber hinaus vor, dieser Präsident Trump benutzte seine Ausführungen bloß, seine Politik in etwas günstigerem Licht erscheinen zu lassen. Nicht einer, dem die Faktenprüfer im zurückliegenden Jahr mehr als 2000 Halbwahrheiten, Falschaussagen und glatte Lügen nachgewiesen haben. Stellen wir uns schließlich vor, der Führer der Vereinigten Staaten von Amerika sei, wie etwa Abraham Lincoln, wirklich daran interessiert, eine zerrissene Nation wieder zusammenzubringen. Ein Präsident, der nicht Religion, Rasse oder Herkunft benutzt, um die Gräben in der Gesellschaft zu vertiefen. Träfe all dies zu, hätte Donald Trump vor dem Kongress, eine für seine Standards halbwegs passable Rede einstudiert. Fast "präsidial", wie ein paar Beobachter hinterher anmerkten. Doch Stilkritik ist im Fall des 45. Präsidenten der USA ein absurder Maßstab. Dass Trump einen von seinen Redenschreibern über Tage vorformulierten Text ohne Abweichungen vorträgt, kann kaum eine ersthafte Analyse dieses denkwürdigen Auftritts sein. Der echte Trump, ist der ohne Teleprompter, der morgens Gift an seine Twitter-Gemeinde versprüht. Ein Präsident der als Versöhnung versteht, unter den rassistischen Fackelträgern von Charlottesville anständige Leute auszumachen. Oder der denkt, Amerika werde wieder großartig, indem er aus dem Pariser Klimaabkommen ausschert, mit einem Atomschlag kokettiert, die Lunte am Pulverfass des Nahen Osten anzündet. Mit alldem im Hinterkopf fällt es nicht schwer, Trumps erste "State of the Union" als Märchenstunde zu begreifen. Geradewegs abenteuerlich ist die Behauptung, er habe als Präsident das Vertrauen der Bürger in den Staat wiederhergestellt. Das Gegenteil ist richtig. Nicht Optimismus durchzieht das Land, sondern Sorge über die abgrundtiefe Spaltung. Statt Gräben zu überbrücken, riss Trump mit dieser Rede neue Schluchten auf. Der vorgebliche Versöhner, entpuppt sich als Spalter, der seinen Zuhörern mit Zucker ummantelte Giftpillen unterjubelt. Dass Amerikaner auch Träumer sind, klingt gut. Dies zu benutzen, um die Hoffnungen der 800 000 "Dreamer"-Kinder zu entwerten, und deren Schicksal zur Verhandlungsmasse für seine "schöne große Mauer" zu machen, ist infam. Trump schürt auch Unfrieden, wenn er die allgemeine Krankenversicherung seines Amtsvorgängers Barack Obama als "desaströs" bezeichnet und mit Blick auf die Proteste von schwarzen Sportlern sagt, wahre Amerikaner "stehen stolz bei der Nationalhymne". Auch in der Außenpolitik sucht Trump nicht den Ausgleich, sondern den Konflikt. Von Iran über Jerusalem bis Nordkorea: Völlig überflüssiger Weise unterschrieb er vor seiner Rede ein Dekret, das die Militärs anweist, das Lager in Guantanamo wieder mit Gefangenen zu füllen. Dass dies ein "neuer amerikanischer Moment" ist, glauben wohl nur Trumps Claqueure und er selber. Die wirkliche Lage der Nation ist so schwach wie selten zuvor. Daheim sind die Amerikaner gespaltener denn je. Im Ausland fehlt ihnen der Respekt. Und über all dem präsidiert eine Person, die über 82 Minuten versucht, staatsmännisch zu sein, aber nach einem Jahr im Amt ziemlich jede Glaubwürdigkeit verloren hat.
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