Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Jürgen Scharf zur Fußball-WM in Russland
Regensburg (ots)
Eine Fußball-Weltmeisterschaft ist etwas Tolles. Es ist ein einzigartiger sportlicher Wettkampf von Ausnahmekönnern. Es ist ein großes gesellschaftliches Event. Und es ist ein Spektakel, das viel Umsatz erzeugt und damit auch die Wirtschaft des Gastgeberlandes ankurbeln kann. Eine Fußball-Weltmeisterschaft könnte aber noch viel schöner sein, wenn die Veranstalter an ein paar Schrauben mit Sinn und Verstand drehen würden, anstatt immer nur mit Gewalt anzukurbeln, um alles um jeden Preis größer und aufwendiger zu machen. Die Gigantomanie bei der Organisation hat schon lange ein vertretbares Maß überschritten und wird auch die kommenden zwei Endrunden in Russland und Katar prägen. Und danach? Danach muss der Fußball-Weltverband endlich mal einen Gang zurückschalten - und würde sich damit auch selbst einen Gefallen tun. Russland ist ein riesiges Land. Dass es bei der Auswahl der Spielorte für die WM-Endrunde 2018 möglichst viele Gebiete abdecken wollte, um Kultur und Gesellschaft breit abzubilden, ist völlig in Ordnung. Dass die Stadien dann weit auseinander liegen, ist unvermeidbar. Warum die Teams durch den Spielplan aber von Beginn an konsequent hin und her gejagt werden, ist nicht zu verstehen. Die ägyptische Nationalmannschaft wird für ihre drei Spiele in der Gruppenphase knapp 10 000 Kilometer zurücklegen. Wo führt das noch hin? Werden Fußball-Mannschaften bei einer Weltmeisterschaft demnächst für jedes Spiel einmal um den Erdball geschickt? Dass insbesondere beim Fußball-Weltverband manchmal schneller entschieden als nachgedacht wird, hat die Vergabe der Endrunde im Jahr 2022 nach Katar bewiesen. Erst wurde der Zuschlag erteilt, dann doch mal der Wetterbericht gelesen. Ach, im Sommer ist es da zu heiß. Blöd! Dann machen wir es eben im Winter. Und beim Organisationskonzept für das Turnier in Katar bewiesen Gastgeber wie Fifa bemerkenswerte Einfallslosigkeit. Motto: Haben wir schon immer so gemacht, also bauen wir auch ins Mini-Land Katar acht riesige Stadien. Braucht danach zwar keiner mehr, aber egal. Dabei hätte die viel belächelte Vergabe an Katar eine große Chance sein können. Warum nicht einmal auf ein WM-Dorf nach dem Vorbild von Tennis-Großveranstaltungen setzen? Mit einem Center-Stadion und kleineren Arenen daneben. Eine WM, in der man nicht fliegen muss, sondern zu Fuß gehen kann. Es ist schade, dass sportliche Großereignisse seit längerem grundsätzlich in der Kritik stehen. Doping-Skandale oder Absprachen bei den Vergaben haben dazu beigetragen dass das Image von Olympischen Spielen oder Fußball-Weltmeisterschaften arg ramponiert ist. Kritisiert werden auch die Milliarden an Euro, die die Gastgeberländer in die Organisation stecken - anstatt diese dazu zu verwenden, die Probleme der eigenen Bevölkerung zu lösen. Nun, da ist natürlich etwas dran. Für das Geld könnten viele neue Kindergärten gebaut werden. Immer nur das eine mit dem anderen aufzurechnen ist aber falsch. Eine Fußball-WM kann immer noch eine große Kraft entwickeln und Menschen aus verschiedensten Kulturkreisen miteinander verbinden. Das ist bei den vielfältigen Problemen, die unsere Weltgesellschaft in der Gegenwart im Zusammenleben hat, eigentlich unbezahlbar. Sportliche Großereignisse sind riesige Chancen. Schade nur, dass die zuletzt schlecht verwertet wurden. Die Vielfliegerei in Russland ist etwa ein Makel, den es nicht gebraucht hätte. Man muss hier übrigens auch gar keine Verschwörungstheorien verfolgen und ein Komplott mit den Fluglinien vermuten. Meistens ist die Wahrheit viel einfacher - und sie heißt: völlige Gedankenlosigkeit. Olympia und Fußball-WM werden in der Zukunft nur dann wieder auf eine breitere Zustimmung als jetzt stoßen, wenn die Veranstalter vom Gaspedal gehen. Es ist zu hoffen, dass sie es schnell tun.
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