Mittelbayerische Zeitung: Viel zuviel für eine Kinderhand
Ein Kommentar der Mittelbayerischen Zeitung, Regensburg, zur Zuckersteuer
Regensburg (ots)
Eltern müssen den Zuckerkonsum von Kindern bremsen. Nur auf staatliche Regulierung zu setzen, reicht nicht. Es geht um eine große Anstrengung: Eingefahrene Gewohnheiten zu ändern.
Vormittags geht es in Kindergarten oder Schule los: Eine kleine Leckerei oder ein süßer Joghurt findet sich in fast jeder Pausenbox. Nachmittags warten zuhause die Schokoeier von Ostern - der Hase hat es mal wieder gut gemeint. Beim Einkaufen bekommen die Kleinen hier Gummibärchen, dort Lollis zugesteckt. Nach dem Kinderschwimmen warten Eltern mit gezücktem Süßgetränk vor der Tür. Wer Freunde besucht, kommt meist nicht davon, ohne ein Stück Kuchen probiert zu haben. Das ständige Füttern mit Süßem kann nicht so weitergehen: In Deutschland nimmt die Fettleibigkeit bei Kindern und Jugendlichen alarmierende Ausmaße an. Dagegen muss jeder Einzelne etwas unternehmen. Der Staat hat zwar keineswegs seine Möglichkeiten ausgeschöpft, regulierend einzugreifen. Doch auch Eltern stehen in der Verantwortung. Sie entscheiden nicht nur für sich selbst. Die Art und Weise, wie sie Ernährung vermitteln, prägt das Geschmacksempfinden ihrer Kinder nachhaltig. Davon hängt deren Gesundheit und Fitness ab - und vielleicht sogar, welches Vorbild sie später für die eigenen Kinder abgeben. Natürlich sind Eltern auch nur Menschen. Sie wissen: Süßkram macht Kinder glücklich - und friedfertig. Solange die Bonbons auf der Zunge schmelzen, ruhen Streit und Geschrei. Das ist verführerisch, wenn man selbst eine Pause braucht. Es ist auch gar nicht nötig, Kindern jegliche Süßspeise zu verbieten. Das Problem ist: Unter dem Strich ist der Konsum im Alltag meist zu hoch. Wir leben in einer Überflussgesellschaft - die Zeiten, als Süßes nur zu seltenen Gelegenheiten auf den Tisch kam, sind längst vorbei. Heute werden Kinder bei so vielen Gelegenheiten mit Süßem "belohnt", dass von einer Ausnahme nicht die Rede sein. Auch wenn es nur ein Muffin ist oder eine Mini-Tüte Gummibärchen: Für ein vier- oder fünfjähriges Kind sind diese Portionen gar nicht so klein. Kinderärzte empfehlen, jeden Tag nur so viel Süßes zu konsumieren, wie in die Hand des Kindes passt. Doch die Realität sieht anders aus: Laut Statistik nimmt ein Fünfjähriger in wohlhabenden Ländern heute so viel Zucker in einem Jahr auf, wie er selbst wiegt. Verbunden mit zu wenig Bewegung bewirkt ein hoher Zuckerkonsum, dass Kinder anfällig für Adipositas, Zahnkaries und Diabetes werden. Natürlich steht auch der Staat in der Pflicht, den Konsum einzubremsen: Nach dem Vorbild Großbritanniens sollte die Bundesregierung stark gezuckerte Getränke besteuern. So kann sie die Hersteller dazu bringen, deren Zuckergehalt zu reduzieren. Besonders dringlich wäre es, Werbung zu unterbinden, die sich gezielt an Kinder richtet. Die Verbraucherorganisation Foodwatch hat kürzlich in einem Report dargestellt, wie der Getränkehersteller Coca-Cola verstecktes Kindermarketing mit Sportstars und Influencern betreibt. Die mächtige Lebensmittelindustrie erweist sich schon viel zu lange als erfolgreich darin, die Gefahren des Zuckers für die Gesundheit zu verschleiern. Dass dieser genauso abhängig machen kann wie Tabak, ist erwiesen. Mit der Tabakindustrie haben sich Regierungen erfolgreich angelegt, bei der Lebensmittelindustrie scheuen sie es noch. So liegt es an den Eltern, ein gutes Vorbild zu sein, das auch nicht ständig selbst Süßes in sich hineinstopft. Das ist zugegeben anstrengend. Zucker ist überall und in großen Mengen verfügbar. Er versteckt sich hinter verschleiernden Begriffen wie "Maltodextrin", "Oligofruktose" oder "Dextrose" oder gesünder klingenden Bezeichnungen wie "Fruchtsüße". Es kostet Zeit, sich zu informieren, frische Zutaten einzukaufen und selbst zu kochen, statt Kindern Fertigprodukte vorzusetzen. Kinderärzte empfehlen Eltern, verbindliche Regeln für den Süßigkeitenkonsum einführen, so dass sie nicht jeden Tag neu verhandeln müssen. Wenn es nur einmal pro Tag Nachspeise gibt, lernen Kinder diese wieder zu schätzen.
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