Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu Brett Kavanaugh: Der Richter und die Rache von Karl Doemens
Regensburg (ots)
Am Abend von Donald Trumps größtem Triumph stand die Folk- und Protestlegende Joan Baez aufgewühlt auf einer Bühne in Chicago. "Ich kann nicht singen, ohne den Elefanten im Raum anzusprechen", eröffnete Baez ihr Konzert. "Der Mut dieser Frau. Gegen weiße Männer. Nazi-Typen!", schoss es aus ihr heraus. Die Zuhörer applaudierten. Derweil tanzte im 900 Kilometer entfernten Kansas ein vergnügter US-Präsident auf dem Podium einer Kundgebungshalle. "Wir sind sehr glücklich", strahlte er und streckte wie ein siegreicher Boxer seine Fäuste in die Höhe. "Kav-a-naugh", skandierte die Menge. Die Berufung des umstrittenen Juristen Brett Kavanaugh an den höchsten Gerichtshof der USA treibt die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft auf die Spitze. Unversöhnlich und feindselig stehen sich Konservative und Liberale gegenüber. Vertreter der demokratischen Partei fordern öffentlich eine Revanche bei der Kongresswahl in vier Wochen. "Es herrscht Krieg", kontert Trumps Sohn Donald Junior. Niemand geht unbeschädigt aus diesem Prozess hervor: Der Senat, einst wie der deutsche Bundesrat eher ein Ort der überparteilichen Kompromisssuche, ist zum politischen Schlachtfeld geworden. Der Supreme Court, der eigentlich über dem Parteienstreit stehen soll, ist nun das extremste Symbol der Polarisierung. Weil seine lebenslang berufenen demokratischen Mitglieder größtenteils sehr alt und die republikanischen Vertreter vergleichsweise jung sind, dürfte die nun erreichte konservative 5:4-Mehrheit auf Jahrzehnte halten. Das alleine sind gewaltige Kräfteverschiebungen. Doch extrem aufgeheizt ist die Stimmung vor allem wegen der Vorwürfe zweier Frauen, dass Kavanaugh sie als Oberschüler und Student sexuell genötigt habe. Buchstäblich in letzter Minute hatte die demokratische Senatorin Dianne Feinstein nach wochenlangem Taktieren eine Anklägerin in das Anhörungsverfahren eingeführt und sich damit angreifbar gemacht. Kavanaugh holte zum cholerisch-aggressiven Gegenschlag aus. Seither tobt ein erbitterter Kulturkampf im Zeichen der #MeToo-Bewegung. Die rechte Trump-Basis empört sich über eine angeblich parteipolitisch motivierte Verleumdungskampagne. Viele Frauen fühlen sich verhöhnt und kämpfen gegen einen rücksichtslosen gesellschaftlichen Roll-back. Entsprechend explosiv ist die Lage vor den Midterm-Wahlen am 6. November. Die Demokraten hatten gehofft, zwei Jahre nach dem Sieg von Trump mit erdrutschartigen Stimmenzuwächsen eine Gegenbewegung einleiten zu können, die den Präsidenten aus dem Weißen Haus vertreibt. Dabei schien die Kavanaugh-Affäre zunächst zu helfen. Doch irgendwann kippte die Stimmung: Die Umfragewerte der chancenreichen demokratischen Senats-Bewerber in konservativen Staaten sind zuletzt regelrecht abgestürzt. Trumps Erfolg bei der Besetzung des Supreme Courts hat seine rechte Basis geradezu euphorisiert. Derweil schwanken die Demokraten zwischen Frust und Wut. Doch der Widerstandsgeist wächst nicht nur bei den Demonstranten vor dem Kongress, und demokratische Strategen hoffen, dass mittelfristig die liberale Empörung stärker ist als der Siegestaumel auf der rechten Seite. Wenn es den Demokraten gelingt, die Frauen in den Vorstädten zu mobilisieren, könnten sie mutmaßlich die Mehrheit im Repräsentantenhaus erobern. Im Senat, wo vor allem Posten in konservativen und ländlichen Staaten neu zu besetzen sind, haben hingegen die Republikaner Oberwasser. "Kleine Erfolge, große Rückschläge", rief die kampferprobte Joan Baez ihrem überwiegend weiblichen Publikum in Chicago zum Abschied zu: "Gebt nicht auf!". Viele Zuhörerinnen streckten die geballte rechte Faust in die Luft.
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