Mittelbayerische Zeitung: Gegner erinnern sich gemeinsam. Vor 100 Jahren endete der Erste Weltkrieg. Das Andenken hat sich grundlegend verändert - sinnbildlich in Verdun. Von Christine Strasser
Regensburg (ots)
Der Erste Weltkrieg in einem Wort? Dafür steht: Verdun. Die Schlacht von Verdun währte 300 Tage. Als sie abgebrochen wurde, hatte sich der Frontverlauf nur um wenige Meter verschoben, aber schätzungsweise 310 000 Soldaten waren gefallen. 167 000 Franzosen und 143 000 Deutsche starben. Verdun gilt als die erste "Materialschlacht" der Menschheitsgeschichte. Leichten Herzens lassen sich die Schlachtfelder auch 100 Jahre nach dem Ende des "großen Krieges", wie er in Frankreich noch immer genannt wird, nicht besuchen. Das Gedenken ist entlang der Maas Stein geworden in den vielen Opfermalen, die sich aus der versehrten Landschaft erheben. Die Erinnerung hat sich aber in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend gewandelt. In Verdun entschied sich aus französischer Sicht das Schicksal der Nation. Auf den Höhen rund um diesen bedeutungsgeladenen Ort liegt Fort Douaumont, die stärkste Befestigungsanlage des Verteidigungsgürtels. In dessen Nachbarschaft erbauten Soldaten das Mémorial de Verdun, eine monumentale Weihestätte der Veteranenverbände. Heute sind die Augenzeugen tot und die Erzählungen in den Familien, wenn es sie überhaupt noch gibt, beziehen sich auf die dritte Generation der Vorfahren. Die Bewahrer der Erinnerung in Verdun haben umgedacht. Ihr Wirken richtet sich mittlerweile an die Nachgeborenen. Von nationalen Erzählungen hat man sich verabschiedet. Das spiegelt sich im Mémorial wider. Vor zwei Jahren wurde das rundum erneuerte Museum wiedereröffnet. Heute ist es den Soldaten beider Nationen gewidmet. Es soll deutsch-französische Schicksale erzählen. Das wäre noch vor zehn Jahren völlig unvorstellbar gewesen. 1984 trafen sich der französische Staatspräsident François Mitterrand und der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl in Verdun zur symbolischen Versöhnung beider Völker. Hinter den Händedruck der beiden Staatsmänner gab es kein zurück mehr. Aber Schmerz, Verbitterung und offene Ablehnung war noch eine ganze Weile danach zu spüren. Als 2009 mit der Europafahne auch die deutsche Fahne auf dem Douaumont aufgezogen wurde, sorgte das für Proteste. Damals war die Kindergeneration der Soldaten von Verdun noch sehr aktiv und gestaltete das öffentliche Gedenken entscheidend mit. Ein internationales Interpretationszentrum im Mémorial? Das wäre als Unding erachtet worden. Die Fahne des deutschen Gegners auf der symbolträchtigen Festung wurde von vielen als Beleidigung für die Gefallenen und ihren Heroismus empfunden. Immer wieder wurde die Fahne heruntergezogen. Erst in den vergangenen Jahren ist dieser Protest verstummt. Die universelle Botschaft des Mémorial an beide Kriegsparteien rückte stattdessen in den Vordergrund. Das Schlachtfeld steht heute ganz allgemein für die Schrecken des Krieges. Verdun ist ein Sinnbild für die Sinnlosigkeit, für die Entsetzlichkeit und die Absurdität des massenhaften Tötens. Das Mémorial hat sie gewandelt vom Gedenkort für den französischen Sieg hin zu eine Stätte, die mahnt, wie kostbar der Frieden ist. Am Wochenende startet der derzeitige französische Präsident, Emmanuel Macron, zu einer einwöchigen Tour im Gedenken an das Ende des Ersten Weltkrieges. Zum Auftakt am Sonntag trifft er sich mit dem deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier zu einer Feierstunde in Straßburg. In Verdun wird Macron ebenfalls Station machen und Schülern begegnen. Am 11. November, dem Jahrestag der Unterzeichnung des Waffenstillstands von Compiègne, wird auch Bundeskanzlerin Angela Merkel in Frankreich erwartet. Diese Reiseplanung ist natürlich alles andere als ein Zufall. Macron weiß um die Symbolkraft. Der Rückblick ist laut Macron auch eine Warnung. Denn Europa sei heute ähnlichen Risiken ausgesetzt wie in der Zwischenkriegszeit des vergangenen Jahrhunderts. Da will er ein Zeichen setzen.
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