D-Day im Rückwärtsgang
Donald Trump versucht mit dem Rückzug von US-Truppen aus Deutschland Angela Merkel zu treffen. Tatsächlich beschädigt er die strategischen Interessen der USA. Von Thomas Spang
Regensburg (ots)
Vermutlich entging dem "America-First"-Präsidenten der symbolische Kontext seiner folgenschweren Entscheidung. Das "Wall Street Journal" berichtete am Vorabend des 76. Jahrestags der Invasion der Normandie, der Nationale Sicherheitsberater im Weißen Haus Robert O'Brien habe ein Memorandum unterzeichnet, das dem Pentagon den Auftrag erteilt, bis September 9500 Soldaten aus Deutschland abziehen und die Zahl der anwesenden Truppen auf 25 000 zu begrenzen. Deutsche Politiker in Berlin und an den betroffenen Standorten sollten sich nicht einreden, dies sei einmal mehr nur der übliche Theaterdonner eines politischen Clowns. Oder um es höflicher zu formulieren: Die amerikanischen Generäle würden es aus eigenem Interesse schon wieder richten. Dies wäre eine der vielen Fehleinschätzungen, die im Umgang mit der transatlantischen Abrissbirne im Weißen Haus mehr auf das Prinzip Hoffnung als auf die Entwicklung einer eigenen Sicherheitsstrategie gesetzt hat. Machen wir uns nichts vor: Die durchgesickerte Entscheidung ist Donald Trumps D-Day im Rückwärtsgang. Ob Geschichtsvergessenheit, Hohn oder blanke Unfähigkeit hinter dem taktlosen Timing stehen, verleiht es der nicht mit der deutschen Regierung abgestimmten Ankündigung hohe Symbolkraft. Wie Stürme einst die Ankunft der amerikanischen Befreier in der Normandie behinderten, treiben sie den Rückzug nun an. Wenngleich es sich diesmal um politische Unwetter handelt, die einen von Pandemie, Massenarbeitslosigkeit und Protesten in Amerikas Städten überforderten Präsidenten blind um sich schlagen lässt. Trump droht seinem eigenen Volk, das gegen strukturellen Rassismus und Polizeigewalt protestiert, mit dem Militär, wie er den wichtigsten Alliierten in Europa dafür "bestrafen" will, bei seiner riskanten Propaganda-Show nicht mitzumachen. Die Rede ist von der Absage der Bundeskanzlerin, mitten in der Pandemie zu einem G-7-Gipfel ins Weiße Haus zu kommen. Trump legte verärgert das Telefon auf, weil Merkel ihm nicht helfen wollte, so zu tun, als sei der tödliche Erreger unter Kontrolle und alles wieder Normal. Das war der Moment, auf den Wladimir Putin über Jahrzehnte hingearbeitet und gehofft hatte. Mit dem Narzissten im Weißen Haus hat er einen Mann gefunden, der die Supermacht im Inneren schwächt und einen Keil zwischen die USA und Europa treibt. Dass Trump wenige Tage vor der Entscheidung mit seinem Ratgeber aus dem Kreml sprach, mag bloß ein Zufall sein. Der Beifall des russischen Präsidenten hingegen ist ihm gewiss. Amerikas Generäle dagegen sind zum zweiten Mal binnen einer Woche entsetzt. Es grenzt an Selbstsabotage, die militärischen Hauptquartiere für das Kommando in Europa und Afrika, das Drehkreuz für fast alle Operationen im Nahen Osten und Afghanistan, den einzigen Standort in Europa, an dem mit scharfer Munition geübt werden kann und das größte US-Krankenhaus außerhalb der USA zu schwächen. Dieser strategische Irrsinn steht nicht für "America First", sondern "Trump zuerst". Er schadet den USA massiv. Trumps D-Day im Rückwärtsgang hebt wie mit einem Leuchtstift hervor, was der ehemalige politische Direktor im US-Außenministerium, Richard Haas, treffsicher als "Rückzugs-Doktrin" bezeichnet hat. Wie Nero einst das brennende Rom besang, berauscht sich dieser Narzisst an seiner Zerstörungswut - im Inneren wie nach Außen. Hoffentlich bekommen die Amerikaner das Feuer unter Kontrolle, wenn sie im November wählen gehen. Andernfalls droht nach dem Rückzug von einem Viertel der US-Truppen aus Deutschland auch der aus der Nato.
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