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Steinmeiers Brücke zu Russland
Im Streit um die Inhaftierung Nawalnys kommt eine gefährliche Eskalationsspirale zwischen Moskau und dem Westen in Gang. Von Jan Emendörfer

Regensburg (ots)

Keine Frage, die deutsch-russischen Beziehungen sind mit der Inhaftierung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny und den darauffolgenden Protesten auf einem Tiefpunkt angelangt, der an die Eiszeit unter Leonid Breschnew in den 1970er Jahren erinnert. Damals standen sich der Ostblock und Westeuropa feindselig gegenüber. Der Unterschied: Mit Willy Brandts neuer Ostpolitik kam der Westen Stück für Stück wieder mit Moskau ins Gespräch. Jetzt, so hat man den Eindruck, wird eine Leitung nach der anderen gekappt und das betrifft nicht nur Gas-Pipelines. Die gegenseitige Ausweisung von Diplomaten, die am Montag Abend mit der Reaktion Berlins auf zuvor erfolgte Brüskierungen seitens Moskaus ihren vorläufigen Höhepunkt fanden, sind Beleg dafür. Der Ton wird rauer, es wird Gleiches mit Gleichem vergolten, und die Russen ließen in ihrer Erklärung zur Ausweisung eines ihrer Mitarbeiter keinen Zweifel, dass sie "unfreundliche Schritte" weiterhin "verhältnismäßig erwidern" werden.Es sieht ganz danach aus, als ob Moskau sich jetzt in der Sache "Nawalny" völlig verhärtet. Die Reise geht - so wie früher - in Richtung Straflager. Zu groß sind die persönlichen Angriffe auf den Machtmenschen Wladimir Putin, als dass er einen wie Nawalny als "normalen" Mitbewerber um das Amt des Präsidenten dulden könnte. So viel Freiheit gibt die "gelenkte Demokratie" nicht her, und Putin ist auch nicht der Mann fürs Polit-Entertainment wie es Nawalny liegen würde und wie es die Amerikaner vormachen, wenn etwa Donald Trump im TV Jo e Biden "Sleepy Joe" nennt.So weit lässt es Russland gar nicht erst kommen, und nimmt für seine harte Haltung als Großmacht auch gern Kritik "von unten" in Kauf.So werden in den Beziehungen zu Westeuropa gerade neue Grenzsteine gesetzt. Das musste in der vergangenen Woche auch der oberste EU-Diplomat Josep Borell leidvoll erfahren, als ihn Russlands Außenminister Sergej Lawrow beim Empfang in Moskau in einer Art diplomatischer Lehrstunde auflaufen lies. Während Borell nach guten Worten rang, gab Moskau die Ausweisung dreier westeuropäischer Diplomaten bekannt und setzte damit die Eskalationsspirale in Gang.In solch einer festgefahrenen Situation ist jedes kluge Wort, jede beschwichtigende Geste willkommen. Ein Art der Politik, wie sie Frank-Walter Steinmeier beherrscht. Vor dem Hintergrund, dass sich am 22. Juni der Beginn des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion zum 80. Mal jährt, stellte der Bundespräsident dieser Tage in einem Interview fest, dass "mehr als 20 Millionen Menschen der damaligen Sowjetunion" diesem Krieg zum Opfer gefallen sind. Das rechtfertige kein Fehlverhalten in der russischen Politik heute, sagte Steinmeier, "aber das größere Bild dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren". Genau dieses "größere Bild" lässt mancher Politiker derzeit vermissen, wie etwa der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, wenn er nun auf kleinkarierte Art Steinmeier "Geschichtsverdrehung" vorwirft, als sei dieser ein Pennäler. Melnyk moniert, es sei nicht legitim, die Opfer der NS-Terrorherrschaft "ausschließlich Russland zuzuschreiben." Das hat Steinmeier nicht getan. Er sprach von der Sowjetunion, und die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik war damals integraler Bestandteil dieses großen kommunistischen Vielvölkerstaates. Wie Melnyk könnten jetzt seine Berliner Amtsbrüder aus Armenien, Aserbaidschan und Kasachstan auf die Barrikaden gehen und kritisieren, ihre Opfer seien nicht expressis verbis erwähnt worden.Was soll das? Und wem nützt das? Steinmeier hat Recht: Wir sollten das große Ganze im Blick behalten!

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