Abschiedstour und Neuanfang
Zum letzten Mal besucht Bundeskanzlerin Angela Merkel einen US-Präsidenten. Doch für Wehmut ist keine Zeit. Vor den großen Partnern stehen riesige Herausforderungen.
Regensburg (ots)
Ein Lebenstraum der Ostdeutschen Angela Merkel war es, mit Erreichen des DDR-Rentenalters für Frauen von 60 Jahren in die USA zu reisen. New York und die Rocky Montains sehen, die Weite und Freiheit Amerikas genießen. In ihrer 16jährigen Kanzlerschaft ist Angela Merkel 20 Mal in die USA geflogen, hat vier Präsidenten erlebt und teilweise erlitten. Nun begibt sie sich selbst auf Abschiedstour, begleitet von Ehemann Joachim Sauer.
Doch für Wehmut auf der politischen Abschiedstour ist keine Zeit. Nicht nur dass das Programm der scheidenden Regierungschefin vollgepackt ist, sondern auch weil vor den beiden transatlantischen Partnern riesige Herausforderungen stehen, globale und bilaterale. Merkel wird versuchen, die künftigen Beziehungen zwischen beiden Staaten auf ein neues Gleis zu setzen. Auch wenn es an der Spitze der deutschen Regierung demnächst einen Personalwechsel geben wird, muss die transatlantische Brücke zwischen Washington und Berlin wieder stabil und dauerhaft ausgebaut werden. Das gehört zum außenpolitischen Vermächtnis der Kanzlerin.
Nach der Eiszeit unter Joe Bidens Vorgänger Donald Trump, der Merkel das eine ums andere Mal brüskierte. Der verweigerte Handschlag vor den laufenden Kameras bei Merkels Antrittsbesuch beim Republikaner war das deutliche Symbol dafür, dass der Immobilien-Manager im Weißen Haus weder auf diplomatische Umgangsformen, noch auf politische Kompromisse wert legte. Die Wirrungen und Irrungen des Twitter-Präsidenten sind zum Glück vorbei.
Joe Biden hat rasch nach seinem Amtsantritt ermutigende Signale in Richtung der Bündnispartner ausgesendet, hat Spannungen entschärft. Dass die Vereinigten Staaten in die globale Gemeinschaft zur Rettung des Klimas, das Pariser Abkommen zur Begrenzung der Erderwärmung, oder in die Weltgesundheitsorganisation zurückkehrten, waren klare Zeichen für den Kurswechsel. Darauf kann nun aufgebaut werden. Das bedeutet freilich nicht, dass zwischen Merkel und Biden, zwischen den USA und Deutschland nicht auch gewaltige Interessengegensätze existieren. Es kommt allerdings darauf an, diese Diskrepanzen politisch, mit viel Fingerspitzengefühl und für beide Seiten vertretbar zu lösen.
Dabei hat Biden schon lange vor seiner Wahl etwa nie ein Hehl daraus gemacht, dass er die zweite Gaspipeline von Russland nach Deutschland für strategisch falsch hält. Allerdings hat er die von der Trump Administration in Stellung gebrachten Sanktionen gegen Berlin nicht wirksam werden lassen. Und Merkel strebt im Gegenzug eine Vereinbarung an, damit russisches Gas auch in Zukunft über die bestehende Leitung durch die Ukraine geliefert wird. Statt schwere Geschütze aufzufahren, wie Trump, versuchen Merkel und Biden, einen gesichtswahrenden Kompromiss zu finden.
Einfach dürfte auch die Abstimmung der Politik gegenüber Moskau und Peking nicht werden. Merkel bekräftigt zwar bei jeder Gelegenheit ihre abgrundtiefe Ablehnung der Krim-Annexion sowie der Unterstützung Putins für die ostukrainischen Separatisten. Zugleich muss Europa jedoch mit Russland auskommen, nicht nur wirtschaftlich. Eine ähnliche Konstellation gibt es im Verhältnis zu China. Die wirtschaftlichen Beziehungen zum Reich der Mitte sind für Europa extrem wichtig. Aber Pekings Expansions- und Menschenrechtspolitik dürfen nicht einfach hingenommen werden. Und dass sich Russland und China, beides wahrlich keine Muster-Demokratien, näher kommen, ist weder im Interesse der USA noch Europas. Ob und wie die Vereinigten Staaten und Deutschland künftig zusammen arbeiten, entscheidet mit darüber, ob das Gesellschaftsmodell der Demokratie global eine Zukunft hat.
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