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Erdogans perfides Spiel
Wenn der türkische Machthaber innenpolitische Probleme hat, attackiert er den Westen besonders hart. Leitartikel von Reinhard Zweigler

Regensburg (ots)

Die warmen Worte von Recep Tayyip Erdogan beim kürzlichen Besuch von Angela Merkel in Istanbul waren offenbar doch nur Lippenbekenntnisse. Dass er Merkels Bemühungen um ein gutes deutsch-türkisches Verhältnis, trotz aller Spannungen und Meinungsunterschiede, lobte, waren wohl nur hohle Worte. Eine Woche später droht der türkische Präsident damit, zehn Botschafter ausweisen zu lassen, darunter den deutschen und den der USA, weil die sich für die Freilassung des Philantropen Osman Kavala eingesetzt haben.

Es ist das immer wiederkehrende perfide Spiel, dass Erdogan, immer wenn er innenpolitische Probleme hat, den Westen besonders hart attackiert. Schuld habe nicht etwa der Machthaber in Ankara, sondern die anderen. Der Westen, der in den USA lebende einflussreiche Prediger Fetullah Gülen, die Opposition in der Türkei sowieso, die er immer rücksichtsloser verfolgen lässt. Es handelt sich nun erneut um die Demonstration von vermeintlicher Stärke. In Wirklichkeit jedoch zeigt es die Schwäche seines AKP-Systems, dass den türkischen Staat und die Justiz weitgehend kontrolliert.

Erdogan steht mit dem Rücken zur Wand. Die Türkei steckt in einer tiefen wirtschaftlichen Krise. Die türkische Lira ist weiter auf Talfahrt. Und Erdogans AKP - mit dem großspurigen Namen Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung 2001 gegründet - verliert immer mehr an Unterstützung. Besonders die unter 25-Jährigen kehren der allmächtigen Staatspartei den Rücken. Der Herrscher vom Bosporus muss sich wirklich Sorgen machen um seine Wiederwahl, die 2023 ansteht. Gerade mal noch ein Drittel der Türken würden heute AKP wählen. Ein Schreckensszenario für den an absolute Mehrheiten gewöhnten Staatschef.

Mit der - noch nicht offiziell vollzogenen - Ausweisung der Botschafter, darunter mehrerer Nato-Staaten, ist Erdogan allerdings dabei, den Bogen zu überspannen. Er entfernt sich immer weiter vom westlichen Bündnis. Ob ihm diese Attacken nach außen im Land selbst wirklich Punkte bringen, darf bezweifelt werden. Außen- und bündnispolitisch ist diese Strategie der immer neuen Nadelstiche gen Westen allerdings verheerend. Erdogan brüskiert jene Partner, die seine Wirtschaft dringend braucht, um wieder auf die Beine zu kommen. Das gilt nicht nur für den Tourismus, der auf viele Gäste aus dem Ausland angewiesen ist, sondern auch für viele andere Bereiche der Wirtschaft, in denen Investitionen händeringend gesucht werden.

Dessen ungeachtet bleibt Erdogan zwar ein unberechenbarer, aber gleichwohl unverzichtbarer Partner des Westens. Die Flüchtlingsbewegung aus dem Bürgerkriegsland Syrien konnte nur einigermaßen eingedämmt werden, weil die Türkei über drei Millionen Flüchtlinge aufgenommen hat. Das entsprechende Abkommen mit der EU sichert der Türkei jährlich Milliardeneinnahmen und bewahrt Westeuropa vor einem noch stärkeren Zustrom an Flüchtlingen. Es gibt zu dieser Übereinkunft, die Angela Merkel 2016 auf den Weg brachte, keine ernsthafte Alternative. Das darin enthaltene Druckpotenzial bringt Erdogan immer wieder ins Spiel.

Aber was sollte Deutschland tun? Wichtig ist vor allem, dass Berlin, Brüssel und Washington Erdogan eine gemeinsame Strategie entgegensetzen und sich nicht gegeneinander ausspielen lassen. Die wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Kontakte zur Türkei müssen zudem intensiviert werden, denn die Türkei ist weit mehr als Erdogan und AKP. Der kategorische Stopp von Rüstungsexporten, wie ihn die Grüne Claudia Roth verlangt, ist allerdings zumindest fragwürdig. Moskau und Peking würden nur allzu gern in die Lücke springen und der Türkei Kriegsgerät verkaufen.

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