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BLOGPOST: "Die wissen gar nicht, was ihnen entgeht"

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Astrid Szebel-Habig ist überzeugt, dass Unternehmen davon profitieren, wenn sie mehr Frauen in Führungspositionen bringen. Produktivere Teams, höhere Innovationsraten und letztlich bessere Renditen. Mixed Leadership nennt die Professorin der Hochschule Aschaffenburg und ehemalige IT-Führungskraft ihre Strategie. Im Gespräch mit uns berichtet sie von den Fortschritten und Vorteilen der Frauenförderung und von ihren persönlichen Erfahrungen.

news aktuell: Was genau verstehen Sie unter Mixed Leadership?

Szebel-Habig: Mixed Leadership ist ein Leitbild, das davon ausgeht, dass beide Geschlechter über komplementäre Eigenschaften und Verhaltensweisen verfügen, die zu einer Win-Win-Situation optimiert werden können. Es gibt viele Studien, die nachweisen, dass ein Frauenanteil von mindestens 30 Prozent zu einer höheren Leistung im Team als Ganzes führen kann. 30 Prozent ist eine magische Zahl, die zur Folge hat, dass die Person unabhängig vom Geschlecht gesehen wird. Mixed Leadership ist ein nachhaltiges Plädoyer für einen stärkeren Einsatz von Frauen in Führungspositionen. In Deutschland ist das immer noch ein Entwicklungsthema. Obwohl viele volks- und betriebswirtschaftliche Vorteile für eine gemischte Besetzung in Entscheidungsgremien sprechen, vor allem wenn es um komplexe Problemlösungen und Findungsprozesse geht, sind Führungspositionen im Wesentlichen von Männern besetzt.

news aktuell: Sie sprechen von einer Win-Win-Situation. Wie meinen Sie das?

Szebel-Habig: Durch eine Win-Win-Situation kann die Gesamtperformance steigen. Das heißt, dass ein Unternehmen durch Mixed Leadership mehr Vorteile hat in Bezug auf Rendite und in Bezug auf eine höhere Innovationsrate. Das ist so, weil beide Geschlechter mit unterschiedlichen Gesichtspunkten an ein Problem herangehen und damit ein kreativerer Prozess entsteht. Viel stärker als bei homogenen Teams wo nur Männer oder nur Frauen zusammenarbeiten.

news aktuell: Warum ist das so? Welche Dynamiken entstehen da?

Szebel-Habig: Man hat verschiedene Experimente angestellt. Das Institut für Weltwirtschaft hat zum Beispiel 2017 ein Experiment zum Teamverhalten beobachtet. Ein Mann alleine trifft schon riskantere Entscheidungen als eine Frau alleine. Aber in einer reinen Männergruppe werden Beschlüsse noch wesentlich risikoreicher gefasst. Bei Frauen ist das genau umgekehrt. Eine Frau alleine ist risikobereiter als mehrere Frauen zusammen. Frauen sind oft sehr verhalten und wollen auf Nummer sicher gehen in ihren Entscheidungen. Es gibt amerikanische Langzeitstudien zur Teamintelligenz. Dabei wurde festgestellt, dass ein höherer Frauenanteil die Gruppenintelligenz signifikant ansteigen lässt. Warum ist das so? Die US-Forscher begründen dieses Phänomen mit dem "Female Factor", den sie mit einem größeren Empathie-Vermögen bei Frauen als bei Männern umschreiben.

Professor Christian Elger von der Universität Bonn beispielsweise sagt, dass weibliche Gehirne altruistischer getaktet sind, und dass Frauen deswegen mehr auf den Erfolg des gesamten Teams achten, während Männer öfters mehr sich selber nach vorne bringen wollen. Zu beobachten ist, dass Frauen im Team darauf achten, dass jeder zu Wort kommt. Während sich bei Männerteams sehr schnell eine Hierarchie herausbildet mit einem Gruppenführer, dem es wichtig ist, dass er viele Follower hat.

news aktuell: Wir reden ja auch viel über sogenannte Frauenquoten in Vorständen oder in anderen Gremien. Was hat denn eigentlich das Thema Frauenquoten mit dem Thema Mixed Leadership zu tun? Ist das das gleiche oder ergänzt es sich?

Szebel-Habig: Wir haben die Frauenquote seit dem 1. Januar 2016 für die börsennotierten und voll mitbestimmten Unternehmen. Und da auch nur für den Aufsichtsrat. Da gibt es eine verbindliche Frauenquote von 30 Prozent. Und die ist ja Gott sei Dank mittlerweile erreicht worden. Das heißt, diese Frauenquote ist ein Erfolg.

Mit Mixed Leadership hat das alles natürlich sehr viel zu tun. In Deutschland gab es bislang zahlreiche Erklärungen von Unternehmen, sich für die Chancengerechtigkeit einsetzen zu wollen. Da sehen wir aber insgesamt nur wenig Fortschritt. Wir verdanken letztlich der Frauenquote den erhöhten Frauenanteil in den Aufsichtsräten. Sonst wäre das nicht passiert. Wir haben ja einen schönen Vergleich mit diesem Gesetz, weil parallel zu dieser Quote im Aufsichtsrat ungefähr 3500 Unternehmen nahegelegt worden ist, dass sie doch selbstbestimmt Ziele setzen sollten für den Vorstand und für zwei weitere Top-Management-Ebenen. 45 Prozent der Unternehmen setzten sich die Zielgröße null. Die wissen gar nicht, was ihnen entgeht.

Denn machen wir uns nichts vor, die Bildungselite in Deutschland ist mittlerweile weiblich. Und das schon seit über 20 Jahren. Mehr Frauen als Männer haben einen Akademiker-Abschluss. Frauen studieren schneller und brechen weniger ab. Frauen sind oft sehr ehrgeizig. Aber in den Unternehmen tritt ihnen dann Präsenzkultur oder ein Old Boys Network entgegen, wo sie dann schnell das Gefühl haben, dass ihre Meinung nicht mehr so wichtig ist, und sie trotz guter Performance nicht im Mittelpunkt von Beförderungsentscheidungen stehen, zumal Frauen oft kein Selbstmarketing betreiben.

news aktuell: Wie sehen Sie das Thema denn aus Ihrer persönlichen Erfahrung? Haben Sie spezielle Förderung erfahren oder hätten Sie sich mehr gewünscht?

Szebel-Habig: Ich war im Top-Management eines Pharma-Unternehmens in Deutschland tätig und wurde dann überraschenderweise mit 41 Jahren noch Mutter. Das war mein Karriere-Aus. Ich denke, dass viele Unternehmen heute damit besser umgehen und mich dann weiter beschäftigt hätten. Aber das hat damals bei mir eine tiefe Wunde hinterlassen. Ich habe dann den Sprung in die Wissenschaft gemacht. Mein Kind war ein Jahr alt als ich Professorin wurde.

Ich habe zehn Jahre bei Hewlett Packard gearbeitet. Ein tolles Unternehmen, aber in Deutschland gab es nur eine einzige Frau in der Führungsriege und von der hieß es, sie habe Haare auf den Zähnen. Ich wurde einfach nicht befördert und junge Männer zogen an mir vorbei. Mein Ehrgeiz in eine Führungsposition zu kommen wurde nicht aufgegriffen. Ich war sechs Jahre lang im Hard- und Software-Vertrieb. Ich war nach einem Jahr sehr erfolgreich und eigentlich habe ich immer mehr verdient als mein Chef.

Aber es war nicht gut in der Gruppe. Eine reine Männergruppe. Die haben mich ausgegrenzt und waren nicht so glücklich darüber, dass eine Frau umsatzmäßig an ihnen vorbeizog. Ich denke, dass Erfolge und Ehrgeiz von Frauen in vielen Unternehmen nicht honoriert werden, weil viele Männer dadurch das Gefühl haben, stärker unter Druck zu stehen.

news aktuell: Was können Unternehmen konkret tun, um Mixed Leadership zu fördern? Muss man die gesamte Unternehmenskultur ändern? Reden wir vom Marketing, von Human Resources oder doch top down vom Management? Wie kann sich ein Unternehmen optimal auf das Thema einstellen bzw. es positiv befruchten?

Szebel-Habig: Es ist erst einmal ganz wichtig, dass die Unternehmensspitze Mixed Leadership unterstützt, also ein CEO-Commitment deutlich wird. Porsche hat das zum Beispiel sehr gut vorgemacht. Da kam vom Personalvorstand 2012 die Losung, dass der Anteil der Frauen in Führungspositionen verdoppelt werden soll. Und das ist dann auch tatsächlich innerhalb von drei Jahren geschehen. Aber wie wurde das erreicht? Antwort: Indem Vorgesetzte dafür belohnt worden sind, wenn sie Frauen in Führungspositionen brachten. Das war wirklich eine Geldangelegenheit. Ich denke auch, dass viele Vorgesetzte Trainings brauchen und auch eine Belohnung, wenn sie Frauen fördern. In Unternehmen gibt es häufig dieses Old Boys Network. Diese Loyalität unter Männern. Und wenn Männer da ausbrechen und bewusst Frauen fördern, wird das nicht unbedingt immer gern gesehen.

Was natürlich auch wichtig ist, ist das Angebot von Work-Life-Balance-Angeboten. Das ist eine spannende Geschichte, wie ich in meiner Forschung festgestellt habe. Wenn Männer ohne Sanktionen Work-Life-Balance Angebote auch in Führungspositionen nutzen dürfen, geht die Fluktuationsquote bei Männern signifikant zurück. Für Unternehmen bedeutet das einen Kosteneinsparungsfaktor, den wir in unserer Forschung beweisen konnten.

news aktuell: Wo stehen wir denn in Deutschland eigentlich? Wir haben noch Nachholbedarf in Sachen Mixed Leadership, oder?

Szebel-Habig: Wir sind das Schlusslicht in Europa. In Deutschland sind die wettbewerbsstarken Branchen, also die Autoindustrie oder der Maschinenbau, traditionsgemäß männerlastig. Außerdem spielt unsere Geschichte eine Rolle. Die Nazizeit hat einen stark ausgeprägten Mutterkult hervorgebracht. Nur die Mutter ist gut fürs Kind. Und wir haben natürlich auch Gesetze wie das Ehegattensplitting, das unterstützt, wenn Frauen zu Hause bleiben. Oder auch in Bayern das Betreuungsgeld, das total in die falsche Richtung geht. Wir strafen mit diesen Instrumenten ab, wenn unsere Bildungselite sich voll dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellt. In vielen Unternehmen werden Frauen nicht ernst genommen, sondern oft lediglich als Arbeitsmarkt-Reserve angesehen.

news aktuell: Wie sieht es in der Medien- und Kommunikationsbranche aus? Können Sie dazu etwas zu sagen?

Szebel-Habig: Ich denke, dass die Medienbranche weiter ist. Dort sind 54 Prozent der Führungspositionen weiblich besetzt. Ich sehe auch selber in meiner Arbeit bei Vorträgen, dass viele PR-Abteilungen in den Unternehmen von einer Frau geleitet werden. Da ist sicher eine Vorreiterfunktion zu sehen. Wobei ich aber auch von den Global Woman in PR gehört habe, dass sie trotzdem nicht zufrieden sind mit ihrem Status und sagen, dass sie in den Top-Großunternehmen nicht an die Spitze kommen.

Die Kommunikationsbranche ist aber trotzdem ganz anders aufgestellt als beispielsweise die Finanzbranche. In der Finanzbranche ist der Leadership-Gap, also das Verhältnis zwischen dem Frauenanteil in der ausführenden Ebene und dem Frauenanteil in den Managementpositionen, am größten. Das ist überhaupt nicht nachvollziehbar, weil in der ausführenden Ebene hervorragend ausgebildete Frauen sind, die sehr wohl eine Führungsposition wahrnehmen könnten.

news aktuell: Was glauben Sie denn wie lange es noch dauert bis wir in Deutschland eine wirkliche Gleichberechtigung im Berufsleben haben?

Szebel-Habig: Das Ganze entwickelt sich im Schneckentempo. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat festgestellt, dass es eine Geschlechterparität in Deutschland bei den Top-200-Unternehmen erst in 63 Jahren geben wird. Deutsche Frauen stecken stark zurück. Ich als Professorin sage deshalb meinen Studierenden: "Passt auf! Teilzeit ist eine Karrierefalle. Ihr arbeitet dann sowieso mehr als nur die vereinbarten 20 Stunden pro Woche und verdient deshalb auch weniger pro Stunde. Und im Alter habt ihr dann auch noch eine große Lücke in der Rente."

Dieser Beitrag ist ein Original-Post aus dem news aktuell Blog:

https://treibstoff.newsaktuell.de/mixed-leadership/

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