Deutscher Olympischer Sportbund (DOSB)
Angebote zum Schwerpunkt "Sport und Gesundheit" des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB): Es folgt ein Text und ein Interview zum Thema "Von der Arztpraxis in den Sportverein."
Frankfurt/Main (ots)
Wenn der Doc zum Sport bittet...
...schnüren trotzdem nicht alle Patientinnen und Patienten ihre Turnschuhe. Woran's hapert und wie man das "Rezept für Bewegung" besser an die Frau und den Mann bringt, hat die Deutsche Sporthochschule Köln in einer Studie untersucht.
Eigentlich könnte es ganz einfach sein. Schließlich gehen die meisten von uns bei gesundheitlichen Malaisen zur Ärztin oder zum Arzt ihres Vertrauens. Und bekommen dort nicht selten ein Rezept. Gegen Schnupfen, Stress oder Schlafstörungen zum Beispiel. Dankbar nehmen wir empfohlene Ratschläge wie auch rezeptierte Medikamente entgegen. Schließlich wollen wir die laufende Nase, die quälenden Rückenschmerzen oder die schlaflosen Nächte schleunigst loswerden.
Wie gesagt: Eigentlich könnte es ganz einfach sein: Denn seit 2011 gibt es ein Rezept, das uns vor den oben genannten gesundheitlichen Problemen (und noch vielen mehr) bewahrt. Und zwar bevor sie überhaupt entstehen. Dazu ist das Ganze auch noch gänzlich frei von unerwünschten Nebenwirkungen, kann aber mit vielen wünschenswerten Benefits punkten. Denn dieses Rezept hält uns unnötiges Fett und lästige Rückenschmerzen vom Leib, bringt Hirn und Herz, Kreislauf und Immunabwehr ordentlich auf Trab und hält obendrein Stresspegel und Alterungsprozesse effektiv in Schach. Klingt nach einer Wunderpille? Mitnichten, die Rede ist vom "Rezept für Bewegung".
Seit mittlerweile sechs Jahren können Ärztinnen und Ärzte ihren Patientinnen und Patienten mit diesem Formular nebst den dazugehörigen Info-Flyern, Internet-Datenbanken und Broschüren den Weg zum nächsten zertifizierten SPORT PRO GESUNDHEIT-Angebot im Verein erleichtern. Und damit passend zu ihrer individuellen gesundheitlichen Situation einen neuen Weg in ein bewegteres Leben mit der richtigen Sportdosis ebnen. Allein: Es ist anscheinend selbst mit dem berühmten weißen Kittel gar nicht so einfach, die Menschen für ein wenig mehr Sport zu begeistern.
Woran liegt's? An den Praxen oder an den Patientinnen und Patienten? Dieser Fragestellung ist das Psychologische Institut der Deutschen Sporthochschule Köln nachgegangen und hat in der Studie "Aus der Arztpraxis in den Sportverein? Herausforderung an eine ärztliche Präventionsempfehlung zur Veränderung des Bewegungsverhaltens" festgestellt, dass dieses Phänomen weltweit existiert: Ärztinnen und Ärzte werden zwar als vertrauenswürdige Beraterinnen und Berater in puncto Gesundheit und Bewegung wahrgenommen, nur mit der sportlichen Umsetzung hapert's. Und zwar aus den üblichen Gründen: Die Zeit für Sport fehlt, der Sportverein ist zu weit weg, die Turnhalle unattraktiv, der Mitgliedsbeitrag zu teuer, wenn die Freundin nicht mitzieht, macht's keinen Spaß oder man weiß gar nichts von dem Angebot. Das bloße Ausstellen eines Rezeptes reicht anscheinend nicht.
Doch den Patientinnen und Patienten die alleinige Schuld in die (Turn-) Schuhe zu schieben, wäre eindeutig zu einfach - auch in den Praxen läuft nicht alles nach Wunsch. Zunächst dürfen Ärztinnen und Ärzte die Beratungsleistung für das "Rezept für Bewegung" nicht abrechnen, da sie nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen zählt. Hinzu kommt der in den Praxen üblicherweise herrschende Zeitmangel - wenn die Zeit knapp ist, lässt man die honorarfreie Beratung eben schnell weg.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass das medizinische Personal (vor allem, wenn es selber nicht sportlich aktiv ist) sich oftmals nicht als kompetent und ausreichend ausgebildet für eine derartige Beratung einschätzt, an der eigenen Überzeugungskraft zweifelt oder die Info-Materialien zu dürftig findet - weitere Gründe, warum man die Sache mit dem Sport und der Beratung dann lieber sausen lässt. Dabei muss die Beratung weder zeitintensiv noch zwangsläufig durch eine Frau Dr. oder einen Herrn Dr. durchgeführt werden - auch eine Assistentin oder ein Fachberater kann durch ein individuelles kurzes Gespräch die Hemmschwelle für den ersten Schritt in den örtlichen Sportverein senken. Außerdem können die Vereine vor Ort mehr tun, um ansässige Arztpraxen mit Informationen zu lokalen Sportangeboten zu unterstützen. Denkbar wäre - analog zum Job eines Pharmareferenten - die Etablierung von kommunalen Sportreferenten, welche die Praxen mit Informationen und Materialien versorgen.
Einzelne Projekte zeigen nach Aussage der Wissenschaftler von der Sporthochschule, dass ärztliche Empfehlungen durchaus Erfolg haben können, wenn Krankenkassen, Gesundheitssportanbieter und Stadt- bzw. Kreissportbünde sich mit den Praxen vernetzen. Grundsätzlich sollten präventive Angebote - und somit auch das Rezept für Bewegung - die gleiche finanzielle und auch politische Unterstützung wie Reha-Angebote haben. Das würde zum einen bedeuten, dass Ärztinnen und Ärzte ihre Beratungsleistung bei den Krankenkassen in Rechnung stellen dürfen und zum anderen Krankenkassen mehr Wert auf Präventionsangebote legen müssen. Sinnvoll wäre zudem eine verstärkte Aufklärungsarbeit rund ums Rezept für Bewegung und die SPORT PRO GERSUNDHEIT-Angebote durch Ärztenetzwerke und Gesundheitskonferenzen - auch auf kommunaler Ebene.
In den Praxen sollte die Beratung über die rein gesundheitlichen Konsequenzen hinausgehen und Sport nicht nur als medizinische Maßnahme sondern als sinnvolle Freizeitbeschäftigung "verkauft" werden, bei der man auch noch soziale Kontakte zu Gleichgesinnten knüpfen kann. Besonders hilfreich soll außerdem die Vorstellung konkreter Sportangebote sein, die der Patientin oder dem Patienten die Berührungsängste nehmen. Denn dann kann's eigentlich doch ganz einfach sein.
Weiterführende Informationen zur Studie finden Sie unter http://ots.de/MAsrB
Informationen zum "Rezept für Bewegung" des DOSB, der BÄK und der DGSP sowie zertifizierte SPORT PRO GESUNDHEIT-Angebote in Ihrer Nähe gibt´s unter www.sportprogesundheit.de.
Interview Prof. Jens Kleinert
Wenn der Arzt Bewegung verschreibt....
Viele Ärzte wissen um die gesundheitsfördernden Wirkungen des Sports. Viele fördern aktiv das Sporttreiben ihrer Patienten - seit einigen Jahren können sie es sogar per Rezept verschreiben. In vielen Sportvereinen finden Menschen ideale Möglichkeiten, vielerlei Krankheiten vorzubeugen und dabei auch noch Spaß zu haben. Wie das geht und warum man die Situation noch verbessern kann, schildert Prof. Jens Kleinert (Deutsche Sporthochschule Köln), Mitautor der Studie "Von der Arztpraxis in den Sportverein."
Herr Prof. Kleinert, können Ärzte tatsächlich Menschen zum Sport bringen?
Naja, davon gehen wir aus. Leider kann man das in der Wissenschaft nicht so schön nachweisen, wie wir das eigentlich von der Praxis her glauben. Unsere Studienübersicht zu diesem Thema zeigt, dass es zwar viele sehr erfolgreiche Modelle gibt, aber es gibt eben auch viele Modelle, die zeigen, dass es auch nicht klappen kann. Der Erfolg scheint offensichtlich von Bedingungen abhängig zu sein, die häufig nicht untersucht wurden. Also zum Beispiel von der Motivation des Arztes, von seiner Bereitschaft, von seinem Enthusiasmus, vielleicht von seiner eigenen Sportkarriere. Es wurde abgefragt, ob Beratung gemacht wird, aber nicht, wie sie genau gemacht wird. Solche Faktoren scheinen aber entscheidend zu sein.
Ist es wichtig, dass speziell Ärzte darauf hinweisen, dass die Menschen sich bewegen?
In unserem Gesundheitssystem hat der Arzt als solcher eine ganz wichtige Rolle. Glücklicherweise gehen viele Menschen zu Vorsorgeuntersuchungen. Der Arzt sieht also den Menschen in gewisser Regelmäßigkeit und kann mit ihm sprechen. Darüber hinaus hat er aus Sicht des Patienten einen hohen Vorsprung an Kompetenz und an Vertrauen. Er wird als Experte in den unterschiedlichsten Dingen wahrgenommen. Ob er das so möchte, oder ob er dem gerecht werden kann, steht auf einem anderen Blatt, aber er hat es erst mal. Und so kann er viel überzeugender als zum Beispiel ein Medium oder eine Zeitschrift transportieren, dass Sport und Bewegung etwas Gutes sind und gleich noch darauf hinweisen, wie man das umsetzen kann.
Ist dabei ein Rezept für Bewegung hilfreich?
Erst mal ist das eine tolle Idee. Denn allein durch den Begriff Rezept wird transportiert, dass Bewegung und körperliche Aktivität eigentlich das beste Medikament ist, was man sich denken kann. Das ist ein Signal: Bewegung ist besser als jede Pille. Außerdem bekommt es dadurch auch einen gewissen Verbindlichkeitscharakter. Das ist ein Rezept, und da musst Du Dich jetzt dran halten. Letztlich kann man aber nicht nachweisen, was es gebracht hat, weil auch das mehr an Kleinigkeiten liegt. Das Rezept allein ist zwar ein wichtiger Impuls wie ein Plakat, das ich sehe, oder wie jemand, der mir einen Tipp gibt, aber es führt nicht zwingend zur nachhaltigen oder tatsächlichen Umsetzung von Bewegung.
Was fehlt da noch?
Es hängt schon einmal davon ab, was draufsteht. Wenn nur draufsteht, Sie müssten mal ein bisschen mehr Sport machen, bringt es natürlich nichts. Wenn aber genau draufsteht, wie das empfohlene Bewegungsangebot aussehen soll, dann ist es schon einmal mehr als hilfreich.
Aber das gibt es doch schon. Das "Rezept für Bewegung" des DOSB, der BÄK und der DGSP beispielsweise verweist auf spezielle Kursprogramme, man kann Trainingsschwerpunkte ankreuzen und weitere Hinweise für die Patientin oder den Patienten einfügen.
Stimmt, und das ist auch ein sehr guter Ansatz. Was so ein Rezept aber nicht aus dem Weg räumen kann, sind die Handlungsbarrieren. Vielleicht weiß ein Mensch nicht, wie er das mit dem Sport jetzt anstellen soll. Das heißt, wo soll er hin, was braucht er alles, wer ist sein Ansprechpartner, wo ist vielleicht ein passender Verein? Vielleicht hat er auch Befürchtungen, ob er das überhaupt kann oder ob er vielleicht in der Gruppe ausgelacht wird. Dieses fehlende Wissen aufzuarbeiten, wie man das Rezept umsetzt und wie man Befürchtungen ausräumt, das kann nur eine Beratung leisten, und sei sie auch nur drei, vier Minuten lang.
Und die sollen die Ärzte machen?
Es muss halt in der Praxis passieren, aber das kann auch eine Praxishelferin übernehmen. Es ist natürlich schön, wenn der Arzt das unterstützt. Er könnte vielleicht nachhaken, waren Sie denn hier bei meiner Assistentin oder so.
Dafür müssen die Ärzte aber auch davon wissen. Über welche Wege können Informationsdefizite bei Ärzten geschlossen werden? Welche Rolle sollten aus Ihrer Sicht auch die Ärzteverbände spielen? Diese Sache ist tatsächlich nicht ganz einfach, denn Ärzte werden mit allen möglichen Informationen fast schon zugeschüttet; da gehen Informationen zu solch einem Vorhaben häufig verloren. Die Verbände könnten daher für die Eingliederung solcher Informationen in Fort- und Weiterbildungen oder auf Tagungen sorgen. Die persönliche und mündliche Info wirkt hier stärker als ein Flyer oder ein Informationsblatt.
Wie wollen Sie denn darüber hinaus die Ärzte zum Mitmachen bewegen?
In unserem Projekt haben wir viele Ärzte befragt. Dabei haben wir unterschiedliche Typen identifiziert. Die selbst Sportbegeisterten sind uns natürlich am liebsten. Das sind vielleicht zehn, 15 Prozent, die sagen, ich mache selbst Sport so gern, und das bringt mir so viel, ich möchte das auch an meine Patienten weitergeben. Das ist eine sehr persönliche, individuelle Motivationslage. Dann gibt es eine Gruppe, die noch nicht so richtig überzeugt ist, ob es eine gute Sache ist und etwas bringt, zumal es ja auch immer die Frage von Aufwand und Effekt ist. Die fragen sich: Ich investiere da fünf Minuten mehr pro Patient, was kommt dabei heraus. Diese Skeptischen und Kritischen könnte man vielleicht mit Argumenten überzeugen, vor allem mit Erfolgen, also wenn z.B. von zehn beratenen Leuten fünf im Verein ankommen, was eine top Quote wäre. Die dritte Gruppe nimmt eher den Standpunkt ein, dass eine zusätzliche Beratung auch bei den Kassen abrechnungsfähig sein muss. Die sagen vielleicht, ich finde das ja toll, was ihr da macht, aber es kann nicht sein, dass ich das neben alle meiner sonstigen Arbeit umsonst mache. Aus deren Sicht auch eine verständliche Auffassung.
Wie möchten Sie weiter vorgehen?
Wir müssen entscheiden, ob wir alle Typen gleichzeitig bedienen oder erst einmal mit einem Typus anfangen sollen, den wir vielleicht auch ohne kassenärztliche Abrechnung überzeugen können. Ich neige dazu, Schritt für Schritt zu gehen und erst einmal den Hochengagierten etwas Schönes anzubieten. Dann nehmen wir die Gruppe der noch Skeptischen, aber durchaus Überzeugbaren, und vielleicht bekommen wir das auch irgendwann hin, dass man so eine Beratung auch extra abrechnen kann.
Wenn Sie ihnen Erfolge präsentieren können?
Richtig. Wir, die im Sportsystem stecken, die Trainer, die Athleten, wir sind ja überzeugt. Wir wissen, das ist effektiv, das ist eine tolle Prävention, da brauche ich keine Untersuchung. Aber der Krankenkasse muss man das schon schwarz auf weiß vorrechnen können. Und so weit sind wir leider noch nicht.
Aber Sie sind da dran. Es gibt ja künftig auch eine ärztliche Präventionsempfehlung.
Es ist erfreulicherweise Bewegung in der Sache. Wir haben die Hoffnung, dass die Gesundheitspolitik immer ein bisschen mehr auf die Prävention schaut. Wenn man die Gesundheitsausgaben insgesamt nimmt, sind die Präventionsausgaben zwar immer noch ein Tropfen auf dem heißen Stein. Wir sind nach wie vor eine Rehagesellschaft, aber keine Präventionsgesellschaft. Aber steter Tropfen höhlt den Stein. Wir müssen auch die kleinen Schritte gehen und die politische Situation auch dafür nutzen.
Was wäre denn Ihr größter Wunsch an die Politik?
Ich würde mir als Wissenschaftler wünschen, dass kleine Erfolge in der Praxis Großes bewegen. Ich möchte zum Beispiel mit kleinen Modellen zeigen, dass wir die Quote derjenigen steigern können, die wirklich in so einer Beratung waren und dadurch in den Verein gehen. Wir haben derzeit noch kaum intelligente Beratungsmodelle, die die oben beschriebenen Barrieren beseitigen können, also wirklich auf die Probleme der Leute eingehen, warum sie nicht im Verein landen. Bisher gibt es eher Beratungsmodelle, mit denen man die Leute überzeugt, dass Sport etwas Gutes ist, aber das brauchen wir gar nicht mehr so sehr, das wissen sie. Wir müssen bei der Umsetzung helfen. Wir müssen der Frau Maier in drei oder vier Minuten mit einer geschickten App auf dem Smartphone oder am Tablet vermitteln können, dass das der Herr Müller ist, der ist beim Verein xy, und da können Sie sich dienstags um 12 Uhr melden, rufen Sie dort mal an.
Es ist manchmal gar nicht so einfach, die große Politik von so praktischen Dingen zu überzeugen.
Für mich ist die große Politik ein Tanker, der ganz langsam in Gang kommt. Wir müssen ab und zu mal ein kleines Schnellboot rechts und links ablassen, ein kleines Modell, mit dem wir dem Tanker zeigen, was alles möglich ist, wenn er Gas gibt. Das versuchen wir in der Wissenschaft: Best Practice Modelle, oder zumindest Good Practice Modelle. Das heißt, wenn wir die Beratung etwas verbessern können, hätten wir bei einem Aufwand von fünf Minuten eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Patient im Verein ankommt. Daran würde ich gerne arbeiten.
Wie zufrieden sind Sie mit der anderen Seite, also mit dem Sport?
Wir haben in Deutschland ein tolles Vereins-Sportsystem. Und es hält sich ja trotz der privaten Fitnesswelle sehr gut. Wir haben eine hervorragende Angebotsstruktur, mit der ich sehr zufrieden bin. Aber wir können noch besser werden in der Vermittlung: Wir müssen die Angebote noch mehr und geschickter Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und älteren Menschen nahe bringen, so dass sie noch besser genutzt werden. Mitscheidend ist, dass die Arztpraxis die Informationen hat und in der Lage ist, innerhalb von 90 Sekunden ein Angebot zu finden für den Patienten. Wenn wir dann noch Ängste und Barrieren reduzieren und die tatsächliche Umsetzung vereinfachen, dann kommen wir große Schritte weiter.
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