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Landeszeitung Lüneburg

Landeszeitung Lüneburg: Erika Mann, handelspolitische Koordinatorin für die Sozialdemokraten im Europäischen Parlament, zum Exportverbot für chinesische Spielzeugfabriken

Lüneburg (ots)

Bananen, Hormonfleisch, Stahl, Genmais -- immer
wieder machen Handelskonflikte zwischen der EU und den USA 
Schlagzeilen. Ist der transatlantische Handel besonders 
aggressionsgeladen? Erika Mann: Ja, natürlich ist er das. Hier 
handelt es sich um zwei große Handelsmächte, die sehr dichte 
Regulierungsräume haben und weltweit ihre unterschiedlichen Modelle 
durchsetzen wollen. Deshalb ist der transatlantische Handel immer 
konfliktbeladen. Das wird so bleiben. Einerseits braucht man sich als
Partner, als Ergänzung, andererseits benötigt man Reibungsflächen, 
weil sich nur so die beste Lösung herauskristallisiert.
Bei einer dauerhaften Verschlechterung der Beziehungen stünde aber 
viel auf dem Spiel: Die USA sind der wichtigste Handelspartner 
Europas... Erika Mann: Richtig. Deshalb habe ich zum Beispiel seit 
Jahren für das Modell des integrierten Wirtschaftsmarktes gekämpft. 
Man darf dabei aber nicht vergessen, dass es unterschiedliche 
Sicherheitsphilosophien auf beiden Seiten gibt, unterschiedliche 
Akzeptanz bei den Bevölkerungen, unterschiedliche Ansichten, wie 
Märkte reguliert werden müssen. Man muss also zweierlei miteinander 
vereinbaren: Einerseits die starke Vernetzung fördern, indem man 
leicht zu beseitigende Handelsbarrieren abbaut. Andererseits muss man
ganz entspannt akzeptieren, dass es auch sehr hohe psychologische 
Barrieren gibt, die nicht schnell abzutragen sind. Man sollte sich 
nicht überstrapazieren in dem Bemühen, Europa und die USA einander 
ähnlicher werden zu lassen. In der EU leben wir schließlich auch gut 
damit, dass wir Unterschiede akzeptieren. Die Briten haben immer noch
abweichende Stromstecker und fahren links.
Handel berührt zunehmend Bereiche wie Tier-, Gesundheits- und 
Verbraucherschutz, wo unterschiedliche Kulturen aufeinanderprallen. 
Sind Handelskonflikte das Ergebnis einer zunehmenden Verflechtung? 
Erika Mann: Einerseits ja, aber sie sind natürlich auch historisch 
begründet. So haben beispielsweise die Amerikaner ihre überlieferte 
Skepsis gegenüber Rohmilchprodukten nicht abgelegt -- auch wegen 
einiger Todesfälle in der Vergangenheit. Wir Europäer haben wegen der
langen französischen und italienischen Tradition der 
Rohmilchverarbeitung eine viel höhere Akzeptanz, zudem aufgrund 
weiterentwickelter Verarbeitungstechniken höhere Standards. 
Mentalitäten zu verändern, dauert. Und um Erfolg zu haben, muss der 
Wille zur Veränderung aus der Bevölkerung kommen. Bei den 
US-Verbrauchern steigt zwar mittlerweile die Nachfrage nach 
Rohmilchprodukten. Doch noch blo"ckieren die dafür zuständigen 
Regierungsbehörden den Marktzugang für Rohmilchprodukte, getreu ihrer
Sicherheitsphilosophie. Hier muss man einfach abwarten. Konflikte 
rührten nicht nur aus der enger werdenden Vernetzung und abweichenden
Traditionen, sondern auch daher, dass wir um dieselben Märkte buhlen.
Jetzt, wo diese Märkte -- China, Indien, Brasilien und viele andere 
Länder -- zu Konkurrenten aufgestiegen sind, entdecken die USA und 
Europa wieder, dass sie natürliche Partner sind. Weil unsere 
Wirtschaftsmodelle auf denselben Werten gründen, sind sie sich auch 
viel ähnlicher. Das sieht man etwa in dem Bereich des Schutzes des 
geistigen Eigentums oder beim Umweltschutz. Und diese Nähe entdecken 
Europa und die USA gerade wieder. Nicht zuletzt, weil wir uns der 
größeren Risiken bewusst werden angesichts niedrigerer Standards in 
den Boomländern.
Bleiverseuchte Barbies sorgten jetzt für einen beispiellosen Eklat: 
Erst wurde China an den Pranger gestellt, dann musste Hersteller 
Mattel eigene Fehler einräumen. Was kann Europa tun, um sich vor 
gefährlichen Waren zu schützen? Erika Mann: Ganz viel. Ich habe 
selbst im Europäischen Parlament einen Antrag auf entsprechende 
Gesetzesänderungen gestellt. In Verhandlungen muss man China 
abringen, dass es unsere Sicherheitsphilosophie zumindest dann 
berücksichtigt, wenn es als Exporteur auftritt. Das ist schwieriger 
als es klingt, weil diese Vorgabe in jeder einzelnen chinesischen 
Provinz umgesetzt werden muss. Zum Zweiten müssen die Importeure die 
gewünschten Standards unmissverständlich klar übermitteln und 
stetigen Druck ausüben, damit sie berücksichtigt werden. Zum Dritten 
muss die Endkontrolle direkt in die Erzeugerländer gelegt werden. Die
Deutschen sind da beispielgebend, mehrere TÜV sind in China tätig, 
vermitteln die bei uns gültigen Standards. Und viertens müssen die 
europäischen Sicherheitszeichen mit Leben gefüllt werden. Bisher ist 
das CE-Zeichen eine bloße Selbsterklärung des Herstellers, die nicht 
von unabhängiger Seite überprüft worden ist. Sowas ist natürlich 
absurd. Notfalls muss auch eine höhere Haftpflichtversicherung für 
Importeure vorgeschrieben werden, um den Druck aufrechtzuerhalten.
Zurück zum transatlantischen Handel: Bei den Verhandlungen zum 
faktischen Exportverbot gentechnisch veränderter Organismen brauchte 
die WTO Jahre. Ist sie der geeignete Schlichter? Erika Mann: Ja, 
gerade im Bereich der grünen Gentechnik ist sie die richtige Instanz.
Dass sie in diesem Fall so lange brauchte, liegt an der Komplexität 
des Problems. Hier mussten Experten befragt und Versuchsreihen 
abgewartet werden. Dies ist zudem ein Thema, das auch innerhalb 
Europas unterschiedlich gesehen wird -- und auch global. Viele 
lateinamerikanische und asiatische Länder haben eine deutlich 
aufgeschlossenere Einstellung zur Gentechnik als wir. Ich würde es 
begrüßen, wenn wir hierzulande auch die Chancen dieser Technologie 
sehen würden und nicht nur die Risiken.
In den USA wuchs über Jahre die protektionistische Stimmung. Die 
Quotierung von Stahleinfuhren widersprach von Anfang an 
WTO-Bestimmungen. Nutzt die Hypermacht Handel als Machtmittel? Erika 
Mann: Ja sicher, das sieht man auch ganz eindeutig in dem Streit 
Boeing-Airbus. In diesem Fall halte ich es für nicht so glücklich, 
einen Streitfall, der ausschließlich zwei Hersteller aus den USA und 
Europa betrifft, vor ein Gremium zu bringen, in dem auch Experten aus
anderen Nationen urteilen. Nach unserem Verständnis ist unsere 
Beihilfepolitik völlig WTO-konform, nichts desto trotz versucht 
Washington, über die Welthandelsorganisation seine Position zu 
stärken.
2005 haben sich die EU und die USA geeinigt, alle 
Luftfahrtsubventionen abzuschaffen. Ist das angesichts der 
strategischen Bedeutung der Luftfahrtindustrie realistisch? Erika 
Mann: Wir schütten keine klassischen Subventionen aus, sondern geben 
Kredite. Die müssen zurückgezahlt werden, sind sogar profitabel für 
den Staat. Die Amerikaner geben ihre Unterstützung über die 
militärische Schiene. Ich denke, der Boeing-Airbus-Streit eskalierte 
auch aus psychologischen Gründen. Damals wurde das politische Klima 
zwischen den USA und Europa allgemein rauher -- der Atlantik wurde 
breiter. Die Geduld, die man normalerweise mit einem Handelspartner 
aufbringt, um Probleme im Gespräch zu lösen, lief aus. Die Neigung, 
Konflikte vor der WTO auszutragen, stieg im selben Umfang an. 2003 
klagte die USA zwölf Mal, die EU vier Mal vor der WTO. Hat sich das 
mittlerweile wieder beruhigt? Erika Mann: Ja, nicht zuletzt, weil wir
jetzt bessere Daten und Fakten darüber haben, welchen Stellenwert der
transatlantische integrierte Markt eigentlich für unsere 
Volkswirtschaften hat. Bezogen auf die Zuliefererindustrie erbrachte 
die Bestandsaufnahme zum Teil überraschende Ergebnisse. Deutsche 
Schraubenhersteller etwa sind extrem abhängig vom amerikanischen 
Markt, dessen schiere Größe für sie wichtig ist. Absurderweise werden
auf die Schrauben immer noch Zölle erhoben. Insgesamt hat sich die 
Lage zwar entspannt, aber es kommen -- abhängig von der politischen 
Großwetterlage -- immer mal neue Konflikte hinzu. Die USA neigen zum 
Protektionismus, wenn sie unter Druck geraten. Jüngst hat der 
Kongress im Zuge einer allgemeinen Sicherheitshysterie ein Gesetz 
verabschiedet, wonach künftig jeder Container auf Waffen und 
ähnliches durchleuchtet werden soll. Das ist handelspolitisch ein 
Wahnsinn.
Braucht es neue Instrumente, um Handelskonflikte zu vermeiden oder zu
entschärfen? Erika Mann: Ja -- absolut. Doch noch vor neuen 
Instrumenten bedarf es eines größeren Vertrauens zueinander und eines
tieferen Verständnisses für die Bedeutung des transatlantischen 
Marktes. Wenn die These von der hohen gegenseitigen Abhängigkeit 
stimmt -- und sie ist beweisbar -- dann führt ein Nachteil für den 
Partner umgehend zu Nachteilen für einen selbst. Ein Beispiel sind 
Boeing und Airbus, bei denen ein Integrationsgrad von 40 Prozent 
angenommen wird. Solange sich beide also in einem erbitterten 
Konflikt blockieren, werden anderen Mitbewerbern Möglichkeiten 
eröffnet, aufzuschließen. Der transatlantische Vertrauensverlust ist 
nur schwer zu kompensieren. Es ist also ein höchstriskantes Spiel, 
was hier betrieben wird.
Braucht es neben Vertrauen auch mehr Respekt? Respekt, den sich 
Europa nur durch drakonische Maßnahmen verschaffen kann wie jüngst 
gegen Microsoft? Erika Mann: Das ist ein interessantes Beispiel, weil
die Europäische Union nur durchgreifen konnte, weil sie zwei 
entsprechende Vereinbarungen mit den Amerikanern im 
Wettbewerbsbereich hat. Hier reiben sich die unterschiedlichen 
Philosophien über notwendige oder zulässige Unternehmensgrößen. 
Europa neigt dazu, größere Marktteilnehmer zu zerschlagen, um 
kleineren Chancen zu ermöglichen. Die USA stehen größeren Unternehmen
positiver gegenüber, weil sie erstens schon länger einen größeren 
Binnenmarkt haben und zweitens erkannt haben, dass nur große 
US-Firmen global player sein können. Da werden wir auch in Europa 
noch eine ganze Zeit um die richtige Philosophie ringen müssen, 
welche Unternehmensgröße gesund ist und welche nicht mehr. Das 
Interview führte Joachim Zießler

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Werner Kolbe
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