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Landeszeitung Lüneburg: ,,Abwarten reicht nicht für Politiker" -- Interview mit SPD-Chef Franz Müntefering

Lüneburg (ots)

Nicht mal die Wirtschaftskrise kann das
Koalitionsgerangel unterbinden. SPD und Union streiten über die 
staatliche Reaktion auf den Kollaps des Finanzkapitalismus. Streit, 
der für Franz MÏntefering (69) zur Demokratie dazugehört. Dennoch 
plädiert der SPD-Chef im Interview mit der LZ für einen kurzen, 
intensiven Wahlkampf. Bis dahin stünden die Interessen des Landes im 
Vordergrund. Und die erforderten schnelles Handeln: "Abwarten reicht 
nicht. Dann hätte Politik keine Existenzberechtigung mehr."
Jüngst attestierten Sie der SPD "Zuversicht in die Gestaltbarkeit 
der Dinge". Schlägt in der Finanzkrise, die den Staat als Retter 
fordert, die Stunde der Sozialdemokratie?
Franz Müntefering: Ein großes Wort. Aber soviel ist klar: die Luft 
ist wieder voll mit sozialdemokratischen Themen. Das Soziale und 
Demokratische wird Bewegung. Und wir stehen im Zentrum dieser 
Entwicklung. Wir wissen, was wir wollen: soziale Gesellschaft, 
Sozialstaat, soziale Partnerschaft und soziale Marktwirtschaft. 
Dieser klare Kompass hilft bei der Überwindung der Krise.
Ein kraftvoller Staat schreckt die SPD weniger als die Union. 
Hilft Ihnen die Krise im Wahlkampf?
Müntefering: Darum geht es nicht. Es geht darum, die Krise zu 
überwinden und neue Regeln zu finden, damit so etwas in der Zukunft 
nicht wieder passiert. Da haben wir als Sozialdemokraten bisher die 
richtigen, pragmatischen Antworten gegeben: mit dem Konjunkturpaket 
und unseren Vorschlägen für eine neue Regulierung der Finanzmärkte. 
Wie sich die Krise weiterentwickeln wird, weiß man noch nicht. Noch 
ist offen, wie das Jahr läuft. Und entsprechend wird es auch ein 
besonderer Wahlkampf in einem besonderen Jahr werden. Die 9er-Jahre 
brachten in der deutschen Geschichte ja oft wichtige 
Weichenstellungen. Das kann dieses Jahr wieder so sein. Mit Blick auf
die Bundestagswahl im Herbst sind wir gut in der Zeit. Wir können und
werden Schwarz-Gelb aufhalten. Das wollen wir, weil Marktradikalismus
die falsche Antwort ist. Wir kämpfen dafür, dass Frank-Walter 
Steinmeier ins Kanzleramt einzieht.
Die Union zaudert beim Gesetz gegen Steueroasen. Verlässt die 
Kanzlerin der Mut?
Müntefering: Das ist ein Problem. Ich kann der Union nur dringend 
empfehlen, das nicht weiter zu verschleppen. Zur Neuordnung der 
Finanzmärkte gehört auch das Steueroasenbekämpfungsgesetz. Das hängt 
jetzt schon seit 14 Tagen durch. Ich hoffe aber, dass sich die Union 
bald bewegt. Das Zeitfenster ist zu schmal, als dass wir lange 
zuwarten können. Ähnliches gilt für die Managergehälter. Wir haben 
uns zwar auf einiges verständigt. Doch bei der Begrenzung der 
Absetzbarkeit von Gehältern über eine Million Euro will die Union 
bisher nicht mitgehen - aus ideologischen Gründen. Eine ähnlich 
komische Zurückhaltung legen einige Unionspolitiker, auch bei 
notwendigen Rettungsmaßnahmen für große Industrieunternehmen an den 
Tag. Dabei ist Eile geboten.
Diese Koalitions-Streitigkeiten schwächten die Union und stärkten 
die FDP. Setzt die SPD jetzt verstärkt auf wirtschaftspolitische 
Reizthemen?
Müntefering: Wir wollen Lösungen der Probleme, Frau Merkel zaudert 
und zögert und stimmt im Zweifel gegen sich selbst, wenn die 
Mehrheitsverhältnisse in ihrer eigenen Truppe gerade mal so sind, wie
jüngst bei der notwendigen Reform der Jobcenter. Das ist 
Geschäftsführung, nicht Führung der Bundesregierung und wird dem 
Gestaltungsanspruch von Politik nicht gerecht. Für mich ist 
unbegreiflich, wie eine Kanzlerin so etwas machen kann. Derzeit fehlt
der Union die klare Linie, nicht zuletzt, weil die CSU so auf Krawall
gebürstet ist, dass sie unzurechnungsfähig ist. Das belastet 
natürlich auch die Koalition im Ganzen. Da hätte Frau Merkel als 
Kanzlerin auch mal auf den Putz hauen müssen, um der Schwesterpartei 
die Grenzen aufzuzeigen.
Hat das Kabinett das Regieren eingestellt, weil die große 
Koalition Wahlkampf führt?
Müntefering: Nein, das Kabinett ist handlungsfähig -- zuallererst 
dank der Sozialdemokraten im Kabinett mit Frank-Walter Steinmeier an 
der Spitze. Wir werden weiter die Handlungsfähigkeit der Koalition 
sicher stellen. Bundestagswahlkampf wird erst im August/September 
sein. Das ist auch Zeit genug. Bis dahin muss man sich im Interesse 
des Landes auf die anstehenden Aufgaben konzentrieren.
Kann die Opel-Rettung noch aus dem Wahlkampf rausgehalten werden 
oder wird das ein bloßer Stimmenfänger?
Müntefering: Die Zeit drängt. Jetzt geht es darum, dass der 
Mutterkonzern liefert. Wenn wir Opel in Europa helfen wollen -- und 
das wollen wir--, muss es ein Abschottungskonzept geben. Geld, das 
hier reingepumpt wird, darf nicht in den USA landen. Auch die Frage 
der Patente und der technischen Entwicklung muss geklärt werden. Hier
darf nicht gezögert werden. Die Grundsatzfrage ist: Wartet man ab, 
welche Argumente es geben kann, nicht zu helfen oder versucht man die
Bedingungen zu schaffen, damit Opel stabilisiert werden kann? Und da 
bin ich eindeutig für Letzteres. Leichtfertigkeit verbietet sich. 
Indus"trie ist die Grundlage unseres Wohlstandes. Und das wird auch 
so bleiben. Zum Glück fuhren wir hier einen anderen Kurs als die 
Briten, die voll auf den Finanzmarkt setzten und jetzt in der Krise 
stärker abstürzen. Deindustrialisierung wäre für ganze Landstriche 
eine Katastrophe. Diese Erfahrung haben wir nach dem Fall der Mauer 
in den neuen Bundesländern gemacht. Deshalb muss man um jedes 
Unternehmen und jeden Arbeitsplatz kämpfen. Abwarten, ob sich das von
alleine löst, ist nicht hinreichend. Dann hätte Politik keine 
Existenzberechtigung mehr.
Das Interview führte Joachim Zießler

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

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