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Landeszeitung Lüneburg: Streitkultur als Stärke
Politologe Prof. Greven sieht Grüne auf gutem Weg

Lüneburg (ots)

Stresstest für die Grünen: Die Partei-Spitze will Ja zum schwarz-gelben Ausstiegskonzept sagen, die weiteren Pläne zur Energiewende aber als ungenügend ablehnen. Zwar überwiegt vor dem morgigen Sonderparteitag in Berlin bei den Landesverbänden die Zustimmung zum grünen Leitantrag, aber es liegen knapp 50 Änderungsanträge und 25 weitere Anträge vor. Kritik kommt von der Parteijugend und der Anti-Atom-Bewegung. Der Hamburger Politologe Prof. Dr. Michael Th. Greven sieht die Grünen aber nicht gespalten.

Wem gehört der Atomausstieg?

Prof. Dr. Michael Th. Greven: Ohne die langjährige Mobilisierung der Grünen und der sozialen Bewegungen, die hinter den Grünen stehen, stünde dieses Thema so nicht auf der Tagesordnung aller Parteien. Jetzt sind es eher zufällige Umstände, nämlich das Unglück in Japan, die dazu geführt haben, dass wir nach einem scharfen Richtungswechsel der schwarz-gelben Koalition diesen Ausstieg bekommen.

Parteichefin Claudia Roth sagt: "Wir sind nicht gespalten und zerrissen." Täuscht sie sich da nicht?

Greven: Gespalten und zerrissen sind die Grünen wahrscheinlich nicht. Es ist in der Parteienkonkurrenz natürlich immer die Frage, wie man eine Opposition begründen kann. Nachdem Schwarz-Gelb nun einen Zeitplan und bestimmte Bedingungen für einen Ausstieg formuliert hat, kann man Opposition eigentlich nur noch dadurch zum Ausdruck bringen, dass man sozusagen "radikalisiert", also die Bedingungen und den Zeitrahmen infrage stellt. Innerhalb der Grünen konnte offenbar so schnell keine Einigkeit erzielt werden. Da wird auf der einen Seite die radikale Position vertreten, dass der Ausstieg sofort möglich sei und erfolgen müsse, während andere moderater sind und sagen, wir sollten dann noch einmal über die Bedingungen reden, etwa über Finanzierung alternativer Energien, aber im Grundsatz nicht an der Sache rütteln.

Für die Pläne der Bundesregierung hat der Segen der Grünen nur symbolische Bedeutung, für die Partei selbst geht es bei dem Votum um ihre Glaubwürdigkeit. Droht eine ernsthafte Spaltung?

Greven: Nein.

Die Parteiführung hat im Falle eines Neins zu Merkels Atomausstieg Angst vor dem Stempel "Dagegen-Partei". Was wäre daran so schlimm für die Partei? Dieses Etikett hat sie doch groß gemacht.

Greven: Ja, das hat sie groß gemacht, aber die Partei zugleich auch über die Jahre verändert. Man darf einfach nicht übersehen, dass die Partei und viele ihrer maßgeblichen Vertreter in den Ländern und auch im Bund einige Jahre Regierungszeit hinter sich haben. Mit einer reinen Protestpartei kann man bei diesem Ausmaß an Wählermobilisierung --- immerhin fast ein Viertel der Wählerschaft --- nicht mehr ernsthaft in die Zukunft gehen. Die Angst, vom politischen Gegner als reine Protestpartei dargestellt zu werden, scheint mir berechtigt zu sein.

Es war nicht zuletzt der gemeinsame Protest mit der Anti-Atom-Bewegung, der die Grünen stark gemacht hat. Die Aktivisten werfen ihnen nun Verrat an der reinen Lehre vor. Wird dieser Bruch der Partei schaden?

Greven: Diese Verrats-Diskussion von Minderheiten, die die reine Lehre verteidigen, begleitet die Geschichte der Grünen als Partei von Anfang an. Es ist aber nicht richtig, dass die Grünen eine Ein-Punkt-Partei sind. Sie waren nie nur eine Anti-AKW-Partei. Das war zwar stets ein Kernpunkt ihrer Programmatik. Aber im Unterschied zu der Protestbewegung haben die Grünen von Anfang an ein volksparteiähnliches Themenspektrum entwickelt, das im Lauf der Jahre noch gewachsen ist. Die Abspaltung von Gruppen wegen einzelner Streitpunkte --- wie zum Beispiel die Beteiligung Deutschlands an Militäreinsätzen --- hat es in der Geschichte der Partei immer gegeben und das hat ihr nicht geschadet. Im Gegenteil, es hat objektiv zur Integration beigetragen.

Ist die teilweise Lösung von der Anti-AKW-Bewegung der Preis, den die Öko-Partei für ihre Erfolge in der bürgerlichen Mitte zahlen muss?

Greven: Die Protestbewegung ist ja auch keine homogene Gruppe. Da gibt es die militanten Kämpfer gegen alles, was mit Kernkraft zu tun hat bis hin zu jenen, die sich für eine rationale und politisch gestaltete Ausstiegslösung eingesetzt haben. Die Anti-Atom-Bewegung wird sicher nicht als Ganzes abgespalten.

In der Regierungsverantwortung haben die Grünen immer einige Kröten schlucken müssen, etwa den Kosovo-Krieg, das Kohlekraftwerk in Moorburg oder Stuttgart 21. Ist die Partei nur in der Opposition glaubwürdig?

Greven: Nein. Erstens sind Koalitionen immer Kompromissveranstaltungen. Interessanterweise wird selten gefragt, welche Kompromisse denn die Koalitionspartner der Grünen - -- zum Beispiel Ole von Beust in Hamburg --- eingehen mussten. Zweitens liegt es in der Natur des politischen Prozesses, dass dieser --- wenn er gestalten will --- nicht nur aus Protest besteht, sondern dass man auch aus der Sache heraus gezwungen ist, Zugeständnisse zu machen und schrittweise vorzugehen. Das ist nichts Spezifisches für die Grünen.

Aber sie sind zum Teil mit ihren Kernforderungen gescheitert...

Greven: In Hamburg-Moorburg ging es um ein ganz konkretes Bauprojekt, das man verhindern wollte. Das hat man nicht geschafft. Daraus haben die Grünen ja auch gelernt, dass man sich in einzelnen Sachfragen nicht so festlegen darf, dass man überhaupt keine Handlungsspielräume mehr hat. Beim Ausstieg aus der Atomkraft war von Anfang an klar, dass man hier nicht einfach einen Schalter umlegen kann, sondern Alternativen aufbauen, komplizierte Prozesse umsteuern muss. Dieses Ziel, für das die Grünen von Anfang an gestanden haben, war immer nur als ein Prozess zu verwirklichen, bei dem die Partei, solange sie nicht allein regiert, selbstverständlich auch Kompromisse eingehen muss. Man darf das nicht künstlich dramatisieren und von einem Gründungsmythos sprechen, der nun verraten wird. Das ist die Sprache von unpolitischen Randfiguren.

Das wird man im Wendland aber nicht gern lesen.

Greven: In Niedersachsen kann man vielleicht noch den Eindruck haben, dass das Wendland der Nabel der Welt ist. Das ist ja eine hübsche Gegend, aber doch für die ganze Republik eher ein politischer Randbereich.

Die Castor-Transporte und damit die Endlagerprobleme sind aber nicht nur dort eine ziemlich zentrale Frage.

Greven: So wichtig diese Fragen sind --- auch mir persönlich: Man muss sie doch relativieren. Als Politologe habe ich die gesamte Wähler- und Parteienkonstellation im Blick.

Sehen Sie die Gefahr, dass die Grünen in Gesamthaftung genommen werden für bisher ungelöste Fragen, für die sie ja gar nichts können, etwa die Klimabilanz, Sicherheitsstandards oder die Kosten für den Netzausbau?

Greven: Die Frage möchte ich auf Umwegen mit Ja beantworten. Man muss sehen, dass die Grünen angesichts des Laufzeitverlängerungsbeschlusses im letzten Herbst und vor allem nach der Katastrophe in Fukushima im März ein geradezu selbstläufiges Meinungsklima vorgefunden haben, das ihnen in Umfragen immer neue Prozentpunkte und in einzelnen Wahlen auch Erfolge beschert hat. Das ist ein Trend, der nicht strukturell und langfristig verankert ist. Hinzu kommt: In dem Maße, in dem sie jetzt in der Regierung in Baden-Württenberg Kompromisse eingehen müssen, für sie auch sehr unangenehme, werden sich natürlich einige Leute enttäuscht von ihnen abwenden und es wird diese Rhetorik vom Verrat in bestimmten Milieus kursieren. Aber das sind alles ganz normale Prozesse für eine Partei, die politisch mitregieren will.

Die Selbstzerfleischung ist im linken Spektrum aber besonders ausgeprägtu

Greven: Ob die Grünen zu den Linken gehören, ist eine ganze andere Frage. Aber haben Sie schon einmal innerparteiliche Kämpfe in der CSU erlebt? Sicher gab es bei den Grünen heftige Auseinandersetzungen, wenn man an Jutta Ditfurth denkt oder den Farbbeutel-Wurf auf Joschka Fischer auf dem Parteitag 1999 in Bielefeld. Aber das Austragen sehr unterschiedlicher Meinungen und Richtungskämpfe ist in der Vergangenheit auch eine Stärke der Grünen gewesen, das hat zum Teil auch ihre Attraktivität ausgemacht. Eine geschlossene Partei ist nicht zwangsläufig die bessere Partei. Demokratietheoretisch ist es ja wünschenswert, dass Parteien die gesellschaftlichen Kontroversen vor den Augen des Publikums austragen.

Ist die Sorge berechtigt, dass sich die Grünen mit ihrem Marsch durch die Institutionen überflüssig machen?

Greven: Sie machen sich nicht überflüssig, sondern sie haben sich etabliert. Alle Untersuchungen zeigen, dass die Grünen eine eigene, ziemlich treue Stammwählerschaft haben. Sie haben wie alle Parteien inzwischen das Problem, jugendlichen Nachwuchs zu gewinnen.

Welche Themen müssen die Grüne besetzen, wie müssen sie sich positionieren, wenn ihr Gründungsmythos Atomkraft in den nächsten Jahren an Bedeutung verliert?

Greven: Ich glaube, sie müssen sich gar nicht neu positionieren. Es ist ja nur die aktuelle Diskussion, die dieses Thema so isoliert in den Vordergrund rückt. In Wirklichkeit haben sich die Grünen ja schon seit vielen Jahren den ökologischen Umbau der Gesellschaft --- von der Gebäudesanierung bis zum Verkehr --- auf die Fahnen geschrieben. Dabei ist die Abkehr von der Atomenergie ja nur ein Aspekt. Das ist ein Programm, mit dem die Grünen auch in den nächsten 20 bis 30 Jahren ein eigenes Profil gegenüber CDU und SPD haben werden. Die Grünen sind mitgliedermäßig eine Mittelstandspartei. Eine radikale Protestpartei sind sie parteiensoziologisch betrachtet schon lange nicht mehr.

Wäre, wie Winfried Kretschmann es sieht, ein Ja zum schwarz-gelben Atomausstieg im Hinblick auf 2013 ein Signal für Regierungsfähigkeit? Müsste also mit Schwarz-Grün gerechnet werden?

Greven: Auf Länderebene wahrscheinlich schon. Aus strategischer Perspektive ist man natürlich immer besser beraten - -- das war ja früher die "Kunst" der FDP -- wenn man nach beiden Seiten offen ist, also Verhandlungsoptionen hat. Die Wahrscheinlichkeit einer rot-rot-grünen Koalition --- das ist die einzige Mehrheit, die man sich angesichts der desolaten Lage der Sozialdemokraten im Moment vorstellen kann --- ist immer noch durch die Haltung der SPD gegenüber der Linken blockiert. Deshalb würden manche bei den Grünen sicher sagen, dass man sich die Option zur CDU nicht künstlich verschließen sollte. Auf Bundesebene sehe ich diese Chance aber als sehr gering an.

Womöglich brauchen die Grünen irgendwann auch einen Kanzlerkandidaten. Wer kann diese Rolle ausfüllen? Joschka Fischer?

Greven: Wenn die Grünen Angst vor Karikaturisten haben und vernünftig sind, werden sie selbst keinen Kandidaten aufstellen. Wenn sie bei der nächs"ten Bundestagswahl knapp 20 Prozent erreichen, haben sie ein gutes Ergebnis und brauchen keinen Kanzlerkandidaten.

Sie wollen keinen Namen nennen?

Greven: Solche Fragen dürfen Sie einem Wissenschaftler nicht stellen. Wer hätte denn drei Jahre vorher gesagt, dass Angela Merkel Kanzlerin wird und es könnte? Wenn es die Konstellation einmal erfordert, wird es auch bei den Grünen jemanden geben, der das kann.

Das Gespräch führte Klaus Bohlmann

Pressekontakt:

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Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
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