Landeszeitung Lüneburg: ,,EU muss periphere Akteure abstoßen" -Interview mit Prof. Herfried Münkler
Lüneburg (ots)
24 Stunden, die die Welt bewegen, laufen gerade in Brüssel ab. Kann der Euro gerettet werden? Der Währungsgemeinschaft droht im Streit um eine mögliche gemeinsame Verschuldung eine Spaltung in nord- und südeuropäische Staaten. Ein Weg, den Europa trotz aller Kosten ohnehin gehen muss, sagt der Politikberater Prof. Herfried Münkler von der Berliner Humboldt-Universität: "Wer Europa retten will, muss es verkleinern."
Eigentlich sollte der Euro der Kitt sein, der Europa zusammenhält. Nun gefährdet er dessen Zusammenhalt. Büßen wir jetzt für Geburtsfehler des Euro?
Prof. Dr. Herfried Münkler: Offenbar müssen wir jetzt die Konsequenz dessen tragen, dass die europäische Integration nicht nach systematischer Vorgabe, sondern in einer Reihe von Kompromissen organisiert worden ist. Deshalb gibt es auch nicht den einen Fehler, sondern eine Kette fortlaufender Fehler. Unter dem Druck der Finanz- und Wirtschaftskrise haben diese Fehler eine Sprengkraft entwickelt, der gegenüber die europäische Politik hilflos ist.
Kompromisse, oftmals auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner, gelten geradezu als europäisches Merkmal. Nun ergreift die Krise erstmals den gesamten Kontinent. Ist Europas Struktur geeignet, diese Krise abzuwettern?
Prof. Münkler: Zwar charakterisiert es Europa tatsächlich, das Ergebnis permanenter Kompromisse zu sein. Nachdem die Erinnerung an den Krieg verblasst ist, hat Europa keine "große Erzählung", sondern besteht aus kleinen Übereinkünften. Wolfgang Schäuble verwies in seinem jüngsten Interview darauf, dass Europa schon immer so war. Die Frage ist jedoch, ob jetzt ein Punkt erreicht ist, an dem dieses windschiefe, nicht nach den Prinzipien der Statik, sondern nach Opportunitäten erbaute europäische Haus zusammenbricht. Der Verweis auf Europas Tradition der Kompromisse ist für mich keine Versicherung, dass das Gebäude auch zukünftig trägt. Vielmehr hat die Nachlässigkeit der politischen Eliten höchste Gefahr für Europa heraufbeschworen. So muss sich der Kontinent nun einer populistischen Versuchung erwehren. Dabei ist Deutschland erstaunlicherweise ein Sonderfall: Hier gibt es weder eine links- noch eine rechtspopulistische Partei mit anti-europäischer Ausrichtung. Doch sogar in den Niederlanden und Skandinavien stiegen Populisten auf, die anti-europäische Ressentiments bedienen. Daraus erwuchs für die Wahlbevölkerung die Versuchung, zu sagen, jetzt reicht es aber mit den Zumutungen aus Europa. Die Versuchung der politischen Klasse besteht darin, bei der nächsten Wahl auf die populistische Karte zu setzen. Das beobachten wir in Griechenland ebenso wie in Italien mit der angedrohten Rückkehr von Silvio Berlusconi. Im Ergebnis werden die zentrifugalen Kräfte in Europa so groß, dass man es nur retten kann, indem man es verkleinert. Das allerdings wird ein mühsamer und schmerzhafter Prozess.
Wie viel Zwischenkriegszeit des zwanzigsten Jahrhunderts steckt in der aktuellen Krise?
Prof. Münkler: Austeritätspolitik hat immer polarisierende Effekte und ist ein klassisches Instrument, um die politische und soziale Mitte zu zerreiben. So wurde in Deutschland die parlamentarische Demokratie nach dem "Black Friday" von 1929 zerrieben, und in Frankreich kam es zu einer verhängnisvollen politischen Polarisierung. So wird von Frankreich gesagt, es habe 1940 darum nicht entschlossen Krieg gegen Hitler-Deutschland geführt, weil es im Innern tief gespalten war. Insofern können die historischen Erfahrungen als Warnschilder verstanden werden. Nicht übersehen sollte man aber die erheblichen Unterschiede zwischen damals und heute. So hat Brüning in Deutschland gespart und gespart, also reinste Austeritätspolitik durchgesetzt. Das kann man weder von Griechenland noch von Spanien behaupten, in die von außen permanent Geld hineingepumpt wird. Der Euro hat diese Länder verleitet, sich ein Wohlstandsniveau zuzulegen, das sie mit eigener Produktion nicht erwirtschaften können. Deswegen müssen dort die öffentlichen Haushalte, durch deren Schulden dieses Wohlstandsniveau finanziert wurde, zurückgefahren werden.
Ist die Kanzlerin mit ihrem Beharren auf Strukturreformen und Konsolidierung tatsächlich die gefährlichste Politikerin für Europa, wie der "New Statesman" behauptete?
Prof. Münkler: Der reichlich oberflächliche Blick von außen lässt dies so erscheinen. Dem liegt die Ansicht zugrunde, dass Europa über diese Krise hinwegkommen könnte, wenn Deutschland mehr Geld in die Schuldnerstaaten pumpen würde. Das unterstellt, dass die deutschen Bürger bereit sind, sich auf grenzenlose Deckungs- und Finanzierungszusagen einzulassen. Angela Merkels Kurs ist das Ergebnis eines klugen Abwägens zwischen den europäischen Anforderungen und der Bereitschaft der Deutschen, die daraus entstehenden Lasten mitzutragen. Ich denke, die Kanzlerin hat eine sehr genaue Vorstellung davon, was sie der deutschen Wirtschaft und den deutschen Wählern zumuten kann, und was sie an Strukturreformen in den Partnerländern durchsetzen muss. Der Verzicht auf solche Strukturreformen im Süden Europas ist keine Option, sondern führt Europa immer tiefer in die Krise. Die Politik von Merkel ist richtig. Das Problem ist jedoch die symbolische und kommunikative Vermittlung ihrer Position bzw. die Verwundbarkeit Deutschlands aufgrund seiner Geschichte. Das ist der Grund, warum früher viele Projekte Bonns und Berlins über Paris lanciert wurden, um als europäische Projekte durchsetzungsfähig zu sein und nicht als deutsches Vormachtstreben gebrandmarkt zu werden. Das funktioniert seit der Abwahl von Nicolas Sarkozy nicht mehr. Deshalb ist Merkel im Augenblick so isoliert.
Wie glaubwürdig ist Berlin noch als Sparkommissar, nachdem Merkel 2005 in Brüssel eine Verwässerung des Konsolidierungskurses in Deutschland durchgesetzt hat?
Prof. Münkler: Das ist eher ein Problem der innenpolitischen Auseinandersetzung. Die Glaubwürdigkeit Deutschlands in dieser Frage ist im Ausland nach wie vor hoch -- auch wenn das Land in dem anhaltenden, überraschenden Boom viel zu wenig gespart hat. Sonst würde Deutschland nicht trotz bester Wirtschaftsdaten eine weiter wachsende Verschuldung aufweisen. Die Annahme früherer Zeiten ist nicht mehr gültig, dass sich Schulden irgendwann von selbst auflösen. Das Zusammentreffen von Globalisierung und demographischem Wandel minimiert die Chancen auf größere Wachstumsraten: Weniger Sozialversicherungszahler infolge abnehmender Bevölkerung und die Entwertung von Realkapital infolge leer stehenden Wohnraumes sind Faktoren, die weltweit dafür sorgen, dass diese Krise als so dramatisch wahrgenommen wird.
Muss sich Deutschland in der Krise auch wandeln, etwa eine Änderung des Grundgesetzes zulassen, wie Schäuble nahelegte?
Prof. Münkler: Wolfgang Schäuble ist ein schlauer Mann, der sich überlegt hat, dass die deutsche Verhandlungsposition beim EU-Gipfel gestärkt wird, wenn man ein deutsches Referendum ins Spiel bringt. Das zeigt die Vergangenheit: Wer ein Referendum vor der Brust hatte, konnte in Brüssel mehr eigene Positionen durchsetzen, weil nicht nur er am Verhandlungstisch saß, sondern auch sein Volk, das ihm bei zu großer Nachgiebigkeit einen Strich durch die Rechnung machen konnte. Bisher ging Deutschland am europäischen Verhandlungstisch im Vergleich zu anderen Ländern viele Kompromisse ein. Mit seinem Schachzug wollte Schäuble für ein festeres Verhandlungsfundament sorgen. Mittlerweile würde er seine Äußerung aber gerne wieder einfangen, da sie sich in der Diskussion verselbstständigt hat. Da die Grenzen des Grundgesetzes in Richtung europäischer Einigung noch nicht ausgeschöpft wurden, öffnet der Ruf nach einem Referendum über Europa das Einfallstor für Populismus. Auf diesem Feld tobt derzeit ein Konflikt zwischen dem Bundesverfassungsgericht und der Exekutive, die freie Hand haben will, um besser für Entscheidungen gewappnet zu sein, die sich an den Öffnungszeiten der Börsen orientieren. Karlsruhe bremst und erinnert die politische Klasse an die Regeln der parlamentarischen Demokratie.
Sie benannten als möglichen Ausweg aus der Krise die Verkleinerung Europas. Wäre nicht auch ein Integrationssprung eine Option?
Prof. Münkler: Ja, wenn wir keine Demokratie in Europa hätten. Unter den Bedingungen funktionierender Demokratien sehe ich nicht, woher bei Wahlen oder Referenden die Zustimmung für einen solchen Schritt kommen sollte. Europa war schon immer ein Elitenprojekt und ist es im Augenblick verstärkt. Der Takt wird intergouvernemental vorgegeben, das Europäische Parlament steht hilflos daneben. Die Deutschen sind noch am ehesten bereit, Kompetenzen an Brüssel abzugeben; die Franzosen weniger, andere Partner überhaupt nicht. Ist es ein fataler Treppenwitz der Geschichte, dass der Zwang zur Integration Europas wächst, während der Zuspruch zum Projekt dramatisch schwindet? Prof. Münkler: Ich würde beide Begriffe auseinanderziehen: Es ist sowohl ein Witz als auch eine Fatalität. In einem Clausewitz'schen Sinne hat Europa bei seinem Integrationsprozess den Kulminationspunkt des Vorstoßes überschritten und im Rückraum nicht genug Reserven gebildet. Europa hat sich integrationspolitisch überdehnt und ist nun von der Wucht des Rückschlags überrascht. Man hat eine währungspolitische Einheit hergestellt, die wirtschafts- und verfassungspolitisch nicht unterbaut war. Die notorische Leichtfertigkeit, ja onkelhafte Oberflächlichkeit, die die politische Klasse zum Beispiel beim Euro-Beitritt Griechenlands an den Tag gelegt hat, rächt sich jetzt. Man glaubte, ein nicht beitrittsfähiges Land, das aber nur 2,5 Prozent der europäischen Wirtschaftskraft ausmacht, könne man verkraften. Jetzt stellt man fest, dass diese 2,5 Prozent die Rhythmik des gesamten Euro-Raumes bestimmen -- und ihn anzustecken drohen, wie es in eigentümlicher Medizin-Metaphorik heißt. Ich bin eher skeptisch, ob der Euro-Raum Ende des Jahres noch in der derzeitigen Form bestehen wird.
Beschleunigt die integrationspolitische Überdehnung Europas dessen relativen Abstieg?
Prof. Münkler: Im Augenblick ja. Das hat sich beim G20-Gipfel in Mexiko gezeigt: Indien, China, auch die USA beobachten mit Erstaunen, teilweise mit Entsetzen die europäische Krise, die weltwirtschaftlich ungeheuer folgenreich ist. Wahrscheinlich ist es angesichts der Probleme, in die sich Europa hineinmanövriert hat, jetzt klüger, eine stabilere, belastbarere, auch politisch stärker integrierte Union zu schaffen. Das heißt, dass wir periphere Akteure abstoßen müssen. Und das wird teuer. Auf längere Sicht ist die Schlagkraft Europas aber größer, wenn mehr Elastizität zugelassen wird. Wenn akzeptiert wird, dass der Süden anders funktioniert als der Norden. Wenn sichergestellt wird, dass wieder das Zentrum Europas die Rhythmik bestimmt und nicht die Peripherie. Das Interview führte Joachim Zießler
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