Landeszeitung Lüneburg: Volksvertreter in der Vertrauenskrise
Der Polititologe Prof. Ulrich von Alemann über die Amigo-Äffare der CSU und die Baustellen der anderen Parteien
Lüneburg (ots)
Mit den Worten "Saludos Amigos" begrüßte Bayerns damaliger Ministerpräsident Max Streibl im Februar 1993 seine Parteifreunde zum politischen Aschermittwoch. Ein Begriff, der die CSU jetzt wieder einholt - und die Partei viel Vertrauen kostet. Aber auch die politische Konkurrenz sorgt für Verdruss. Ein Rundumschlag des Politologen Prof. Ulrich von Alemann.
Wie sehr schadet die Münchner Vetternwirtschaft der CSU und auch der Parteiendemokratie insgesamt?
Prof. Dr. Ulrich von Alemann: Derartige Probleme schaden immer der gesamten Parteiendemokratie - nicht nur der betroffenen Partei oder Fraktion. In diesem Fall trifft es aber die CSU besonders hart weil sie Regierungspartei ist und sich selbst gern als Staatspartei darstellt. Um so mehr, als der Parteivorsitzende Horst Seehofer immer wieder betont hat, er wolle Schluss machen mit der Spezi-Wirtschaft, wie es sie unter seinen Vorgängern Franz Josef Strauß und Max Streibl gegeben hat. Für Seehofer ist die derzeitige Debatte mitten im Wahlkampf gewiss ein großes Risiko. Andererseits ist in Bayern durchaus die Mentalität verbreitet, dass man sagt: Die Familie zuerst, jeder ist sich selbst der Nächste, da kann man auch mal ein Auge zudrücken. Strauß hat sich ja bekanntlich viel heftigere Affären zuschulden kommen lassen. Möglicherweise würden solche Filzvorwürfe einer anderen Partei mehr schaden als der CSU.
Die Regelungen, die die umstrittene Verwandtenbeschäftigung ermöglicht haben, sind auch von der bayerischen Opposition durchgewunken worden. Ist der Filz in Bayern besonders dick?
Alemann: Es gab auch in anderen Bundesländern und deutschen Großstädten immer wieder ähnliche Probleme: Berüchtigt ist der Kölsche Klüngel, Affären gab es auch in Frankfurt und Berlin. Die Hamburger CDU hatte notorisch innere Affären, die SPD war in mehrere Flügel zerrissen. Aber in Bayern scheinen die Uhren in der Tat anders zu gehen. Dort herrscht noch eine Art Stammesmentalität, in der die Familie oder der Clan über allem stehen. Es wird immer dann problematisch, wenn eine Regierungspartei so lange im Amt ist wie die CSU, meist sogar mit absoluter Mehrheit. Dann durchsetzt sich die ganze Bürokratie mit Parteigängern. Die sogenannte Übergangsregelung, die man in Bayern im Jahr 2000 getroffen hat, ist ja geradezu lächerlich. Das haben allerdings alle Parteien im Landtag mit zu verantworten.
Da passt der Fall Hoeneß ganz gut ins Bild...
Alemann: Das ist sozusagen das i-Tüpfelchen. Uli Hoeneß und der FC Bayern sind sehr eng mit der CSU verbunden, Hoeneß wurde ja noch in diesem Frühjahr ein Landtagsmandat angeboten - das er aber ausgeschlagen hat. Er gehört zu der Münchner Elite, die stark CSU-geprägt ist. Das da jemand solch ein Steuerproblem hat, wird vermutlich nicht wirkungslos verpuffen.
Kanzlerin Merkel hat derzeit wenig Freude an ihren Koalitionspartnern: Auch die FDP hat reichlich Vertrauen eingebüßt, weil sie viel versprochen, aber wenig durchgesetzt hat. In welche Richtung müssen die Liberalen ihr Profil erweitern, um noch eine nennenswerte Rolle spielen zu können?
Alemann: Die Liberalen müssten sich als bürgerliche, ernstzunehmende, auch intellektuell anspruchsvolle Partei entwickeln. Man hat auf dem letzten Parteitag zwar kontrovers über den Mindestlohn diskutiert, aber die beiden führenden Reden von Rösler und Brüderle waren nur Krawall. Ob das die seriöse liberale Haltung ist, um wieder respektiert zu werden, möchte ich bezweifeln.
Gerade in Steuerfragen wurde der FDP lange Kompetenz zugeschrieben. Ein Thema, mit dem jetzt auch die Grünen in den Wahlkampf ziehen. Verprellt die Ökopartei ihre eigene Klientel, wenn sie sich statt an ihren Kernthemen zunehmend an der SPD orientiert?
Alemann: Die Grünen haben mit ihren Steuererhöhungsplänen, die auf Solidarität und Investitionen in die Bildung, Umwelt und Klima zielen, sicher den Delegierten und Aktivisten aus dem Herzen gesprochen. Aber ob die breite Anhängerschaft - derzeit immerhin rund 15 Prozent - da mitziehen wird, ist offen. Allerdings gehört die grüne Klientel inzwischen zu den gut Verdienenden, die höhere Steuern auch leichter verschmerzen können. Die Strategie könnte sich also auch als richtig erweisen. Ich bin nicht sicher, ob die FDP die Grünen mit ihrer Polemik gegen die Steuerpläne wirklich im Kern trifft. Brüderles wiederholte Sozialismus-Vorwürfe könnten auch nach hinten losgehen.
Auch die Sozialdemokraten haben ihre Baustellen: Umfragen prognostizieren Peer Steinbrück ein katastrophales Ergebnis. Halten Sie ihn für den falschen Kandidaten?
Alemann: Um es mit der Kanzlerin zu sagen: Er ist einfach alternativlos gewesen. In der Kandidaten-Troika Steinmeier/Steinbrück/Gabriel war Steinbrück derjenige, der es machen konnte und musste. Steinmeier wollte aus persönlichen Gründen nicht antreten und Gabriel lag in den Umfragen weit hinter Steinbrück - der ein hohes Ansehen genoss. Er ist ja immer noch einer der fähigsten Leute in der Sozialdemokratie. Dass er jetzt verhältnismäßig schlecht dasteht, ist die Folge einer Mischung aus eigenem Verschulden und der Tatsache, dass die Medien seine Patzer - darunter echte Instinktlosigkeiten, aber eben auch Lächerliches - mit Genuss ausschlachten. Es gibt auch jetzt in der SPD keinen anderen Kandidaten, der dieser misslungenen Gesamtkampagne zum Erfolg verhelfen könnte. Nein, das muss Steinbrück schon selbst versuchen. Gabriels Tempo-120-Vorstoß halte ich für eine Katastrophe: Unkoordiniert in seiner Partei, die sich doch als Autopartei fühlt, unsensibel für die Meinung der Bevölkerung, die unbegrenzte Geschwindigkeit auf Autobahnen nun einmal für ein Alleinstellungsmerkmal Deutschlands in der Welt hält. Die Grünen toppen die SPD mit Steuererhöhungen, die SPD überbietet die Grünen mit einem Umwelt-Thema: Das kann nicht gutgehen.
Angela Merkel liegt sogar beim Thema soziale Gerechtigkeit vor dem SPD-Herausforderer. Hat die CDU-Chefin die Wahl schon gewonnen?
Alemann: Es spricht derzeit einiges dafür, dass sie Kanzlerin bleibt - egal, wie die Wahl ausgeht. Ob sie aber eine schwarz-gelbe Mehrheit haben wird, ist offen. Rot-Grün hat derzeit keine Mehrheit, Schwarz-Grün ist noch keine Option. Wenn es die FDP nicht in den Bundestag schafft, ist eine Große Koalition wahrscheinlich. Auch wenn die Umfragen für die Union glänzen und die Sympathiewerte für Angela Merkel sogar glitzern, wird es keine gemütliche und sichere Wahl für die Kanzlerin.
Nicht nur die Wähler, auch die Piratenpartei selbst hat die Bundestagswahl abgeschrieben. Liegt das vor allem an den Personalquerelen um Geschäftsführer Ponader oder ist die Partei schlicht überflüssig?
Alemann: Die Wahlerfolge der Piraten waren sicher ein Weckruf für die anderen Parteien im Hinblick auf die Netzpolitik und die eigenen Willensbildungsstrukturen. Aber viele Beobachter haben von Anfang an von einem Strohfeuer gesprochen, wie es das in den vergangenen Jahren mehrfach gegeben hat. Zum Beispiel Attac: Die Globalisierungskritiker wollten zwar nicht für Parlamente kandidieren, hatten aber öffentlichkeitswirksame Auftritte und haben große Erwartungen geweckt. Inzwischen hört man von Attac aber kaum noch etwas. Auch Occupy hat noch vor zwei Jahren weltweit Furore gemacht, allerdings nur für wenige Monate. Die Gründungsphase ist immer schwierig, aber die Piraten haben sich auch noch zerstritten. Das ist allerdings nicht untypisch für junge Bewegungen. Die Grünen waren sich auch spinnefeind. Sie habe ihre Streitphasen überstanden, sind damit aber eine große Ausnahme.
Die Linke liegt in Umfragen zwischen sechs und acht Prozent. Wird die Partei durch den Steinbrück-Effekt für SPD-Wähler wieder attraktiver?
Alemann: Die Linke schwächelt in den westlichen Bundesländern. Dass sie nicht wieder in den großen Landtag von NRW gekommen und auch in anderen Bundesländers gescheitert ist, hat ihr schwer geschadet. Die Linken sind nicht direkt gefährdet, aber die große Zeit mit mehr als zehn Prozent ist vorbei, der Traum von der gesamtdeutschen Linkspartei, die der SPD nennenswerte Stimmenanteile abjagen kann, ist geplatzt.
Wie ernst nehmen Sie die neu gegründete Anti-Euro-Partei Alternative für Deutschland (AfD)?
Alemann: Wenn ich so viele Professorenkollegen sich aufmachen, eine Partei zu gründen, ist das schon ernstzunehmen. Aber für die AfD gilt, was ich auch zu den Piraten gesagt habe: Für jungen, kleine Parteien ist es ungeheuer schwer, eine stabile Basis aufzubauen, denn jede neue Partei zieht die Chaoten aller Lager nahezu magnetisch an. Weil die AfD eine sehr intellektuell geprägte Spitze hat, ist dem ideologischen Streit Tür und Tor geöffnet. Ob ihr bisher einziger Programmpunkt, die Euro- und Finanzkrise, sie in den Bundestag tragen wird, ist sehr fraglich. Allerdings können zwei bis drei Prozent für die AfD ein nennenswerter Verlust für die bürgerlichen Parteien sein. Profitiert die AfD von den allgemein Unzufriedenen oder ist es wirklich die Sorge um die Ersparnisse?
Alemann: Auch hier gibt es Parallelen zu den Piraten, die sich zwar als Netzpartei gegründet haben, aber die Wähler - acht bis neun Prozent in manchen Bundesländern - kamen zum großen Teil aus Protest gegen die alten Parteien. Für die AfD-Führung ist das Thema Euro ein Herzensanliegen, aber die Wähler werden sich mehr aus Unzufriedenen aus dem rechten Spektrum rekrutieren. Und das ist - wie man bei der Piratenpartei sehen kann - eine sehr fluide Klientel.
Wo sehen Sie das Stimmenpotenzial für die Afd?
Alemann: Umfragen zufolge könnte die AfD allen Parteien Wähler abspenstig machen. Aber das sind methodisch sehr problematische Aussagen, weil die "Alternative für Deutschland" bisher kaum bekannt ist. Eine Wählerwanderungsbilanz kann man einigermaßen zuverlässig erst nach der Wahl erstellen. Und dann erwarte ich, dass die meisten Stimmen von der bürgerlichen Seite rechts von der Mitte kommen. Aber je länger die AfD in Umfragen unter fünf Prozent liegt, desto eher wird das eine Selffulfilling Prophecy, denn niemand wählt gern eine Partei, die sowieso keine Chance hat, ins Parlament zu kommen. Wenn eine Partei aber ganz knapp unter oder über fünf Prozent liegt, kann das durchaus auch einen Mobilisierungseffekt haben - wie bei der FDP in Niedersachsen.
Kann allein die Gründung der Afd der Euro-Debatte und Streitkultur nicht sogar neuen Schwung verleihen, indem sie die Europapolitiker zwingt, intensiver für die Gemeinschaft und ihre Währung zu werben?
Alemann: Da ist was dran. Es ist nicht gut, dass in Deutschland selten grundsätzlich über Europa debattiert wird, weil das für alle Parteien - vielleicht mit Ausnahme der Linken - ein Selbstläufer ist. Die Zustimmung zu den Rettungspaketen war im Bundestag am Ende stets groß. Auch seitens der Opposition. Es würde der Europafrage guttun, wenn sie stärker politisiert würde. Wenn der AfD das gelingt, wird dies nicht unbedingt der Europa-Idee schaden.
Das Gespräch führte Klaus Bohlmann
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