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Landeszeitung Lüneburg: Eine Frage der Effizienz - Der Bremer Regierungschef Dr. Carsten Sieling sieht für die Zukunft der Häfen auch den Bund in der Pflicht

Lüneburg (ots)

Bremen hat zwar linker gewählt als der Bund, aber die AfD erstarkte auch an der Weser. Welche Fehler der Sozialdemokratie haben den Aufstieg der Rechtspopulisten begründet?

Dr. Carsten Sieling: Viele Menschen, die die AfD gewählt haben, haben das Gefühl, dass "die Politik" ihre Sorgen nicht ernst genug nimmt, sie haben das Gefühl abgehängt zu sein. Daraus schlägt die AfD Kapital. Sie artikuliert zwar die Ängste der Menschen, tut das aber nur, um Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus in schlimmer Weise zu schüren. Lösungen bieten sie nicht an, sie treiben stattdessen mit ihrer Hetze unsere Gesellschaft auseinander. Dem müssen wir uns klar und eindeutig entgegenstellen.

Welche besonderen Herausforderungen birgt die Zuwanderung für einen Stadtstaat und wie begegnen Sie denen?

Dr. Carsten Sieling: Großstädte sind schon immer quasi "Magnete" für Menschen gewesen, wenn sie in Not waren oder Chancen suchen. Bremen hat hier eine besondere Tradition, wenn Sie nur an das wunderbare Märchen der "Bremer Stadtmusikanten" denken. Die Herausforderungen, vor der damit übrigens gerade Großstädte stehen, sehen wir vor allem im Bereich Kitas und Schulen, wo sofort dafür gesorgt werden muss, dass die Kinder und Jugendlichen die deutsche Sprache erlernen. Die nächste Aufgabe ist es dann, Chancen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu eröffnen. Da haben wir in Bremen in Zusammenarbeit mit großen Unternehmen wie Mercedes bereits gute Projekte umgesetzt. Außerdem muss weiter mit Hochdruck in den Bau von bezahlbarem Wohnraum investiert werden. Länder und Kommunen werden das aber nur schaffen, wenn der Bund seine Beobachterrolle aufgibt und hilft.

In den Stadtstaaten klafft die soziale Schere sehr weit auseinander, Hartz-IV-Ghettos und Villen hinter hohen Mauern sind nicht weit voneinander entfernt. Erlaubt Bremen hier einen Blick in die Zukunft?

Dr. Carsten Sieling: Man kann in Bremen wie unter einem Brennglas erkennen, welche gesellschaftlichen Spannungsverhältnisse es in Deutschland gibt und vor welchen Herausforderungen unser Land steht. Wir haben in Bremen in der Tat eine der höchsten Millionärsquoten gemessen an Einwohnern, aber eben auch eine durch hohe Langzeitarbeitslosigkeit gespeiste Verarmung, insbesondere die Kinderarmut treibt uns um. Diese großen sozialen Unterschiede erfordern vor allem eine Politik, die auf Zusammenhalt und Solidarität setzt. Und diejenigen, denen es wirtschaftlich sehr gut geht, müssen weiterhin einen größeren Beitrag zum Gemeinwohl leisten. In Bremen tun dies viele Menschen, die sich in Stiftungen und anderen Einrichtungen finanziell oder eben ehrenamtlich stark engagieren.

Sie haben eine Zukunftskommission 2035 für die Hansestadt ins Leben gerufen, der auch externe Fachleute angehören. Gehen der bremischen Politik die Ideen aus?

Dr. Carsten Sieling: Nein, im Gegenteil. Bremen bekommt durch die Neuregelung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen ab 2020 deutlich größere finanzielle Spielräume - in einem Volumen von etwa acht Prozent des Etats, also fast 500 Millionen Euro pro Jahr. Das versetzt uns in die Lage, in den Schuldenabbau einzusteigen, wir sind aber auch verpflichtet, in unsere Städte zu investieren, um Bremen und Bremerhaven zukunftsfest zu machen. Da man nie klug genug sein kann und wir auch nicht nur im eigenen Saft schmoren wollen, habe ich vorgeschlagen, dass wir zusammen mit gesellschaftlichen Akteuren, Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden, aber auch externen Fachleuten darüber beraten, welches die richtigen Schwerpunkte für Bremen sind. Wir brauchen ein "Alle-Mann-Manöver" - also die Unterstützung aller Kräfte - damit unser Bundesland die bestmöglichen Perspektiven hat.

Reichen diese acht Prozent mehr Spielraum, um dem Schuldenturm zu entkommen?

Dr. Carsten Sieling: Sie werden uns zumindest in die Lage versetzen, den Würgegriff der roten Zahlen zu lockern und auch neue Themen anzugehen. Bremen ist schon jetzt sehr wachstumsstark und war im ersten Halbjahr 2017 das Bundesland mit dem stärksten Wirtschaftswachstum in Höhe von 3,5 Prozent. Bremen ist zudem in Sachen Luft- und Raumfahrt, im Automobilbau, in der Logistik und mit seinen Häfen stabil aufgestellt. Die enorme Bedeutung der bremischen Wirtschaft für den Wirtschaftsstandort Deutschland wird leider oftmals verkannt.

Mercedes baut in Hemelingen ab 2019 Elektrofahrzeuge. Was macht der Senat, um Elektromobilität in der Stadt zu fördern?

Dr. Carsten Sieling: Wir haben schon im Koalitionsvertrag 2015 vereinbart, dass wir die Elektromobilität mit Strom aus erneuerbaren Energien unterstützen werden. Und dass wir dabei gut vorankommen, haben wir erst vor wenigen Wochen auf unserer Delegationsreise mit der Handelskammer nach Kopenhagen zeigen können: Bremen ist in Sachen Smart City auf einem guten Weg. Das klappt nur unter Nutzung von Elektromobilität und der Senat arbeitet daran mit Hochdruck. Bremen hat u.a. ein vom Bund gefördertes Projekt zum autonomen Fahren entwickelt. Dabei nutzen wir die Stärken des Logistikstandortes, um bundesweit Impulse bei autonomen gewerblichen Verkehren zu setzen. So flankieren wir aktiv den neuen Kurs bei Mercedes, denn Bremen-Hemelingen wird der Hauptproduktionsstandort für Elektrofahrzeuge von Mercedes werden. Darüber hinaus hat die Bremer Traditionsfirma Borgward entschieden, sich wieder in der Hansestadt anzusiedeln. Auch sie wird Elektrofahrzeuge bauen. Bremen hat die Chance, Vorreiter bei der Elektromobilität in Deutschland zu werden. Die wollen wir nutzen.

Auf einigen Gebieten klappt die Zusammenarbeit zwischen Niedersachsen und Bremen, etwa bei den Pendler-Schülern. Anderswo hakt es, etwa in Sachen Weser, die Hannover gerne in Teilen unter Naturschutz stellen möchte. Wie ist Ihre Bilanz?

Dr. Carsten Sieling: Als ich vor gut zwei Jahren Bürgermeister wurde, habe ich die unterschiedlichen Zuständigkeiten für die Zusammenarbeit mit Niedersachsen im Rathaus gebündelt - also auf Landesebene, im Kommunalverbund und in der Metropolregion. Im Herbst 2016 sind wir zu einer gemeinsamen Kabinettssitzung in Delmenhorst zusammengekommen, dort haben wir das Hanse-Wissenschaftskolleg der beiden Länder aufgebaut. Was die Neuregelung bei den Schülern anbelangt, die in Niedersachsen leben, aber in Bremen zur Schule gehen, ist das ein erstes Ergebnis aus diesen gemeinsamen Beratungen. Jetzt werden auch andere neue Kooperationsmöglichkeiten erkundet. In Sachen Weser läuft das Verfahren. Bremen hat sich gegen Überlegungen ausgesprochen, im Zuge der Erfüllung von EU-Auflagen weite Bereiche der Weser unter Naturschutz zu stellen. In einem gemeinsamen Brief haben der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz und ich die Interessen unserer beiden Länder noch einmal formuliert. Die naturschutzrechtlichen Regelungen in dem Verordnungsentwurf würden neben den bremischen Häfen auch eine Belastung für den niedersächsischen Hafen Brake bedeuten. Deshalb ist auch die Haltung in der niedersächsischen SPD in diesem Punkt dankenswerterweise sehr klar ablehnend. Wir sehen auch die Notwendigkeit der Umsetzung europäischer Regelungen, aber eine Übererfüllung auf Kosten der wirtschaftlichen Entwicklungsfähigkeit der Region darf es nicht geben.

Seit 120 Jahren wird die Weser ausgebaggert und begradigt. Stößt dieser Kurs mit den neuen Containergiganten an seine Grenzen?

Dr. Carsten Sieling: Wir haben im Unterschied zu Hamburg mit Bremerhaven an der Flussmündung eine gute geographische Lage. Während die Hamburger auf langer Strecke die Elbe ausbaggern müssen, haben wir mit der Außenweser nur eine sehr kurze Revierfahrt für die Schiffe und entsprechend weniger Anpassungsbedarf bei der Fahrrinne. Die jetzt beantragte Fahrrinnenvertiefung aber müssen und werden wir realisieren. Ob zukünftig weitere Ausbaggerungen noch umsetzbar sein werden, steht auf einem anderen Blatt. Die Umweltbelastungen werden sicher zukünftig nicht geringer werden. In Zeiten häufiger Hochwasser dürfen wir das auch mit Blick auf die Nebenflüsse der Weser nicht ignorieren.

Fünf Jahre nach Einweihung des JadeWeserPorts legte jüngst das weltgrößte Containerschiff in Wilhelmshaven an. Wird aus dem Milliardengrab doch noch ein Erfolg?

Dr. Carsten Sieling: Da bin ich sicher. Der JadeWeserPort hatte das Pech, dass er fertiggestellt wurde, als im Handel und der Schifffahrt in Folge der Finanzkrise Flaute herrschte. Aber bei Hafenprojekten muss man gute Nerven haben, wie wir auch in Bremen wissen: Bremerhaven ist 1827 als Hafen für Bremen gegründet worden und erlebte einen echten Aufschwung erst in den 1890er-Jahren. Die Planungen für den JadeWeserPort liefen vor 2008 in Zeiten von Zuwachsraten von sechs bis zehn Prozent, als Bremerhaven und Hamburg nicht wussten, wie die Gütermengen zukünftig umgeschlagen werden sollen. "Lehman-Brothers" und Co. waren nicht absehbar gewesen. Sicher ist aber: Mit dem JadeWeserPort werden wir nicht 60 Jahre warten müssen, bis er so erfolgreich läuft, wie wir uns das alle wünschen.

Welche Rolle bliebe dem Bremer Hafen in einem nationalen Hafenkonzept, das den Wettbewerb mit Rotterdam sucht, statt untereinander zu konkurrieren - nur noch Feederverkehr?

Dr. Carsten Sieling: Bremerhaven ist Europas zweitgrößter Hafen für den Automobilumschlag und hat dazu ein starkes Standbein im Containerbereich. Die Stärke liegt in einer sehr guten Hinterlandanbindung auf der Schiene. Bremerhaven bietet als Eisenbahn-Hafen sehr zügige Verbindungen in den Süden der Republik. Den derzeitigen Bestand beim Güterumschlag werden wir halten können. Wie stark in den nächsten Jahren die Zuwächse sein werden, ist eine große Frage. Aber - wie mir auch in Kopenhagen bei Gesprächen mit der Reederei Maersk bestätigt wurde - für eine gute Zukunft ist es vor allem auch wichtig, die Effizienz der Häfen zu verbessern. Und das haben wir uns vorgenommen.

Warum gelang es drei sozialdemokratischen Regierungen nicht, die Hafen-Eifersüchteleien beizulegen?

Dr. Carsten Sieling: Wir sind uns in vielem einig und machen einiges gemeinsam. Aber so manche Konkurrenz untereinander wird dauerhaft nicht funktionieren. Dass Bremen und Niedersachsen beim JadeWeserPort zusammenarbeitet, ist eine gute Entscheidung. Da bin ich mir mit Stephan Weil einig. Für die Zukunft müssen die Häfen in der norddeutschen Bucht aber weitere Wege finden, um den ARA-Häfen Paroli zu bieten. Vor allem die Hinterlandanbindungen müssen durch ein gemeinsames Vorgehen auch mit dem Bund weiter verbessert werden. Das Interview führte Joachim Zießler

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
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