Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar zu 100 Tage rot-grüne Minderheitsregierung, Achillesferse Haushalt. PETER JANSEN, DÜSSELDORF
Bielefeld (ots)
Auf den ersten Blick kann die rot-grüne Minderheitsregierung mit ihren ersten 100 Tagen ganz zufrieden sein. Die Zusammenarbeit von SPD und Grünen funktioniert reibungslos, im Landtag ging noch keine Abstimmung verloren, die Linke steht trotz radikaler Sprüche als Mehrheitsbeschaffer zur Verfügung. Die CDU ist noch immer vorwiegend mit sich selbst beschäftigt, die FDP verliert gerade mit Landeschef Andreas Pinkwart ihren klügsten und angesehensten Kopf. Die rote Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und ihre grüne Stellvertreterin und Schulministerin Sylvia Löhrmann haben in dem knappen halben Jahr seit der Wahl an Statur und Ansehen gewonnen, was sich in den für Rot-Grün erfreulichen Umfragewerten niederschlägt. Durch einen glücklichen Zufall wird Kraft jetzt auch noch als erste Frau Präsidentin des Bundesrats, was ihren bundesweiten Bekanntheitsgrad noch einmal steigert. Ein inhaltliches Profil der rot-grünen Regierung ist bislang allerdings noch nicht zu erkennen. Die wichtigsten Initiativen und Ankündigungen betreffen die Rücknahme von Veränderungen, die CDU und FDP in ihrer fünfjährigen Regierungszeit vorgenommen hatten, vom Wegfall der Studiengebühren bis zur erneuten Ausweitung der Mitbestimmung im öffentlichen Dienst. Das Zurückdrehen der Reformen, die sie in der Opposition heftig bekämpft haben, ist zwar verständlich, reicht aber nicht aus. Es fehlt bislang noch an Ideen, an Visionen, an Vorhaben, wie SPD und Grüne NRW zu einem modernen, sozialen, ökologischen und wirtschaftlich erfolgreichen Land weiterentwickeln wollen. In der Schulpolitik gehen SPD und Grüne behutsamer vor, als nach den Reformversprechen aus dem Wahlkampf zu erwarten war. Gemeinschaftsschulen wird es nur dort geben, wo Kommunen, Eltern und Lehrer es wünschen, das längere gemeinsame Lernen aller Kinder bleibt ein Wunschtraum. Das Volksbegehren in Hamburg hat Rot-Grün in NRW vorsichtig werden lassen. Eine Schulstruktur, mit der auch die CDU leben kann, ist dauerhafter und tragfähiger als eine Radikalreform, für die im Landtag die Mehrheit und im Volk die Unterstützung fehlt. Die Achillesferse der neuen Regierung ist die Haushalts- und Finanzpolitik. Kraft und ihr Kabinett haben den Eindruck erweckt, die Konsolidierung des Haushalts hätte für sie keine hohe Priorität. Das Versprechen Krafts, durch Investitionen in präventive Maßnahmen würden langfristig Kosten gespart, klingt zwar rührend, hilft aber in der akuten finanziellen Notlage weder Land noch Kommunen weiter. Ohne Kürzungen bei den Ausgaben, ohne Verringerung des Personals wird Kraft ihrem Anspruch nicht gerecht, nachhaltig zu wirtschaften, die Schuldenlast zu senken und die Lasten nicht kommenden Generationen aufzubürden. Für eine Sparpolitik ist allerdings keine Hilfe der Linken zu erwarten. Bislang hat die fehlende Mehrheit das Handeln von Rot-Grün noch nicht sonderlich beeinträchtigt. Wenn es ums Geld geht, kann sich das schnell ändern.
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