Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Ein Jahr neue Regierung Noch übt Schwarz-Gelb ALEXANDRA JACOBSON, BERLIN
Bielefeld (ots)
Immerhin ein Vorwurf gegen die schwarz-gelbe Regierung hat sich nach einem Jahr erübrigt. Vom Verharren in Untätigkeit hat sie sich befreit und ist in den Modus der hektischen Betriebsamkeit gewechselt. Doch auch aus dem "Herbst der Entscheidungen" will keine runde Sache werden. Da wird zum Beispiel die Tabaksteuer erhöht, um Löcher im Sparpaket zu stopfen. Im Koalitionsvertrag steht aber: "Steuererhöhungen zur Krisenbewältigung kommen für uns nicht infrage." Die Regierung ist bekanntlich sogar mit dem vollmundigen Versprechen angetreten, den Menschen mehr Netto vom Brutto zu belassen. Nachzuvollziehen ist das nicht mehr. Der Sündenfall bei der Tabaksteuer ist zu verschmerzen. Aber es steigen auch die Sozialabgaben - für die Krankenkassen, die Arbeitslosenversicherung und die Pflege. Alle Zumutungen wären besser zu ertragen, wenn die Lasten gerechter verteilt wären. Aber der Impuls der sozialen Balance verkümmert immer mehr. Die Tabaksteuer wurde doch deshalb ausgegraben, um die energieintensive Industrie vor der Ökosteuer zu schützen. Subventionsabbau ist Fehlanzeige. Es verhärtet sich der Eindruck, dass die Regierung denjenigen nachgibt, die am lautesten rufen. Das mag die Atomlobby sein, die energieintensiven Betriebe, die Hotelbesitzer oder wer auch immer. Das Sparpaket wird aufgeweicht, wenn es um die Wirtschaft geht. Für die Hartz-IV-Bezieher bleibt es hingegen beim einmal Beschlossenen, zum Beispiel bei der Streichung des Elterngelds. Schnell wird nun auch das Elterngeld für die Handvoll Superreicher im Land gestrichen. An der sozialen Schieflage ändert das nichts, hier handelt es sich um pure Symbolpolitik. Schwarz-Gelb macht nicht nur Murks. Zweifellos könnte aus der Wehrreform des Ministers zu Guttenberg ein großer Wurf werden. Und auch Arbeitsministerin von der Leyen ist immer noch eine der besten Erklärpolitiker in diesem Land. Und mag der Aufschwung vor allem durch die richtige Wirtschaftspolitik der Vorgängerregierungen vorbereitet worden sein: Aktiv verhindert hat ihn Schwarz-Gelb jedenfalls nicht. Dass die Bürger die gute Konjunktur nicht mit Schwarz-Gelb verknüpfen, liegt am Grundfehler dieser Konstellation: Es mangelt an Vertrauen. Diese Grundwährung der Politik ist nicht nur schwach, sondern kaputt. Das liegt weniger an Kanzlerin Angela Merkel. Aber FDP-Chef Guido Westerwelle und vor allem der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer stehen derart mit dem Rücken zur Wand, dass sie zu häufig auf eigene Rechnung arbeiten. Es gibt kein stimmiges Bild der Gemeinsamkeiten. Sollen mehr Fachkräfte aus dem Ausland kommen dürfen oder gar keine? Soll die Mehrwertsteuerregelung reformiert werden oder lieber doch nicht? Wird es noch Steuerentlastungen geben oder nicht? Woran merkt der normale Bürger den angeblichen Vorrang für die Bildung? Es entsteht der Eindruck, dass diese Regierung noch übt. Soll das wirklich noch drei Jahre so weitergehen?
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