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Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Positive Entwicklung am Arbeitsmarkt Bedrohung nicht aus der Welt MARTIN KRAUSE

Bielefeld (ots)

Welche Fähigkeiten muss ein Mensch haben, der in Deutschland arbeiten will? Verblüffend: Hilfsbereitschaft und Geduld sind in unserer von Ehrgeiz zerfressenen Gesellschaft wieder solide Voraussetzungen. Denn weil die Menschen immer älter werden, wächst in der Kranken- und Altenpflege der Fachkräftemangel. Der deutsche Arbeitsmarkt erlebt kurz nach der Finanzkrise eine unverhoffte Renaissance - und man muss nicht einmal Ingenieur sein, um eine Stelle zu finden. Der Mut vieler Unternehmer, auf Kündigungen zu verzichten, war für die Erholung ebenso wichtig wie die Maßnahmen der Bundesregierung. Doch die Wirtschaft ist zum Teil auch aus schmerzlicher Erfahrung klug geworden. Weil sich dubiose Investments am Finanzmarkt nicht ausgezahlt haben, erscheinen weniger riskante Investitionen am Standort Deutschland wieder attraktiv. Daraus ergibt sich die Hoffnung, dass wieder mehr Kapital im Inland Stellen schafft. Schon wird wieder von Vollbeschäftigung geredet. Ist das Ideal, dass nahezu jeder gebraucht wird, in einem Hightech-Land realistisch? Jahrzehntelang hat wachsende Arbeitslosigkeit unsere Gesellschaft mitgeprägt. Zukunftsangst hat verunsicherte Arbeitnehmer (und schon Schulkinder) zu höchsten Leistungen angetrieben. Häufige Depressionen und die negative demographische Entwicklung sind Indizien dafür, dass die Gesellschaft dem Druck nicht standhält. Denn Gestresste bekommen keine Kinder, und Verzagte wagen keine Abenteuer. Wie immer birgt die Krise die Chance zum Wandel. Ironischerweise hilft gerade der Geburtenmangel dabei, die Arbeitslosigkeit zu senken. Die Brisanz der Diskussion über die Verteilung der Arbeit und eine gerechte Entlohnung besteht nicht in der Frage, ob wir 35 oder 45 Stunden pro Woche arbeiten wollen oder ob der Rentenanspruch mit 67 oder 70 gewährt wird. Flexible, zunehmend individuelle Lösungen sind sinnvoll. Dies ist in immer neuen Verhandlungen zu klären. VW etwa hat mit kurzer Wochenarbeitszeit Erfolg. Entscheidend ist die Arbeitsproduktivität, die durch Innovationen weiter wächst. Bleiben wir also verhandlungsbereit. Verhandlungen über Preise und Löhne sind das wirtschaftliche Urprinzip. Arbeitnehmer sind dafür auf starke Gewerkschaften angewiesen. Dies gilt, zumal die Bedrohung am Arbeitsmarkt ja nicht aus der Welt ist - viele der gefeierten neuen Arbeitsverhältnisse sind prekär und bringen neue Sorgen. Zwar werben Politiker reihenweise für höhere Löhne, aber die Wirtschaftsführer warnen umso hektischer vor mutigen Forderungen. Das alte Spiel. Brisanz liegt in den Verteilungskämpfen an immer neuen Fronten. Akzeptieren wir, dass Teile der Bevölkerung vom Aufschwung ausgeschlossen bleiben? Die Frage, wie viele Menschen in den Arbeitsmarkt integriert werden, hängt in der sozialen Marktwirtschaft nicht allein vom Effizienzkalkül ab. Bildung ist die wichtigste Stellschraube. Geduld und Hilfsbereitschaft müssen wir uns leisten.

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