Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar: Rekordergebnis auf dem CDU-Parteitag Merkel auf dem Gipfel THOMAS SEIM
Bielefeld (ots)
Mit den Gipfeln ist das so eine Sache: Ist man erst man erst einmal dort angelangt, führen alle Wege nur noch hinunter. Von den wenigen Fällen abgesehen vielleicht, in denen man ein dünnes Drahtseil zum nächsten Gipfel spannen und diesen so erreichen kann. Angela Merkel ist auf dem Gipfel. Die einst so stolze Volkspartei CDU liegt ihr demütig zu Füßen, darauf hoffend, dass mit ihr die Macht sei, die sie so dringend braucht, weil es die Basis ihrer Existenz ist. Und die Macht ist mit der Bundeskanzlerin: Sie bestimmt derzeit alle wesentlichen Entscheidungen der Europapolitik; sie ist - vielleicht mit Ausnahme des Luxemburger Premierministers Juncker - die einzige europäische Spitzepolitikerin, die auf den Gipfeln der Welt ernst genommen wird; sie bestimmt die Richtlinien der deutschen Politik, organisiert die Kehrtwende der Energiepolitik, beim Mindestlohn, der Finanzpolitik, beim Euro-Schuldenschnitt für Griechenland; sie dominiert die Männerpartei CDU, entmachtet alle Konkurrenten und organisiert ein verschwiegenes kleines Treue-Kartell um sich herum, dass alle Angriffe frühzeitig abwehrt oder ablenkt. Natürlich drängt sich der Vergleich mit den letzten großen Führern der Christlich Demokratischen Union auf: Konrad Adenauer, der seine Partei nach acht Jahren Regierungszeit in die absolute Mehrheit führte. Oder mit Helmut Kohl, der Deutschland in die Einheit führte und diesen, auch persönlichen Glücksfall für die eigene Wiederwahl, aber auch die Verwirklichung der Europäischen Union nutzte. Beide Merkel-Vorgänger allerdings gründen ihren Erfolg auch auf einem Wertefundament. Die Westintegration und die Sicherheit in Demokratie trieb Adenauer an. Die Europäische Einigung in Frieden Kohl. Was aber treibt Angela Merkel an, außer einem sehr guten Pragmatismus in der Alltags-Politik? Worauf gründet Sie ihre Werte? Ganz gleich, ob es um Grundsätze - siehe Energiepolitik, Mindestlohn, Euro-Rettung - oder um die Herausforderungen des Alltags - siehe Betreuungsgeld oder Praxisgebühr - geht: ein Wertefundament jenseits des Erhalts von Macht und Regierbarkeit des Landes ist nicht zu erkennen, jedenfalls nicht deutlich. Ihr Politik definiert sich eben nicht alternativlos. Funktioniert der eine Weg nicht, nimmt sie den anderen. Das ist guter Regierungspragmatismus. Aber der birgt eben auch die Gefahr der Beliebigkeit, der postmodernen Beliebigkeit - wie der ehemalige Stellvertreter Merkels in der CDU, Jürgen Rüttgers, es nannte. Merkel ist oft nicht weit davon entfernt. Einstweilen trägt dieser Kurs die Kanzlerin auf einer großen Beliebtheitswelle. Ihren Herausforderer Peer Steinbrück muss sie nicht fürchten, solange der und die SPD sich in den Debatten über die Angemessenheit von Honoraren verheddern. Die CDU ist eine folgsame Partei. Sie trottet ihrer Garantin der Macht hinterher, ganz gleich, welchen Kurs diese gerade für richtig hält. Wenn die Macht allerdings ins Wanken geraten sollte, wird sich jemand finden, der neue Garantien formuliert. Der Weg bis zur Bundestagswahl ist lang. Fehlen Merkel am Wahlabend Partner, ist der nächste Gipfel in weiter Ferne. Das Drahtseil ist dünn.
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