Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR Die Kirchen in Zeiten von Feiertagen Mehr Selbstbewusstsein bitte CARSTEN HEIL
Bielefeld (ots)
So ist das heute: Bei Unzufriedenheit mit der Leistung droht schnell die Höchststrafe. Alle Kontakte werden abgebrochen, ein Aufruf zum Boykott gestartet. Verbraucher und Kunden sind kritischer als noch vor vielen Jahren, geben sich mit fadenscheinigen Ausflüchten der Anbieter zu einer Minderleistung nicht mehr zufrieden. Das ist im ersten Zugriff auch richtig so, denn dadurch hat sich die Dienstleistungskultur in Deutschland spürbar verbessert. Von einer Wüste spricht in diesem Zusammenhang niemand mehr. Zunehmend ist allerdings die Tendenz zu erkennen, dass unzufriedene Kunden sich geradezu radikalisieren. Einzelhändler, Handwerker, Großorganisationen und auch Medienvertreter können von wütenden Kunden berichten, die nicht nur selbst den Geschäftskontakt abbrechen, sondern auch gleich mit einem Aufruf auf Facebook drohen und Massenabbestellungen provozieren wollen. Jetzt geraten auch die großen Kirchen in diesen Sog. Schon seit Jahrzehnten geht ihre Mitgliederzahl zurück, die Zahl der Austritte nimmt zu. Bei jedem Skandal - und keine Organisation ist frei von Fehlern und Versagen - kündigen die Kirchenmitglieder scharenweise die Freundschaft. So war es zur Zeit der Missbrauchsskandale, und jetzt in der Auseinandersetzung ums Geld, ausgelöst durch die Vorgänge in Limburg, ist es wieder so. Die Zahl der Kirchenaustritte nimmt sprunghaft zu. Viele Menschen hatten innerlich sicher längst die Kündigung beschlossen und nehmen nun die unschönen Vorfälle um Bischof Tebartz-van Elst zum Anlass, Ernst zu machen. Dass dabei ein Problem der katholischen Kirche gleich auf die evangelische übertragen wird, ist Hinweis auf den schnell ausbrechenden Furor der Kundschaft. Und was machen die Kirchen? Wenig. Das fällt gerade in diesen Tagen auf. Dass am Donnerstag Reformationstag war - also Geburtstag der protestantischen Kirche -, hat kaum jemand gemerkt. Wer verschweigt sonst so schamhaft seinen Geburtstag? Stattdessen ist überall vom importierten Halloween-Unfug zu lesen und zu hören. Die Kirche ist viel zu passiv, zu wenig selbstbewusst, um ihre Positionen zu verteidigen. Warum wettert sie nicht gegen den Gruselquatsch der hohlen Kürbisse und verweist auf die befreiende Theologie Martin Luthers? Aus Angst vor Gegenwind? Seelsorge, Diakonie und die Hinwendung zum Menschen - also Dienstleistungen im besten Sinne - sollten beide Kirchen in den Vordergrund stellen. Denn das können sie. Am Freitag und Samstag sind mit Allerheiligen und Allerseelen hohe katholische Feiertage. Nur überzeugte Kirchgänger können mit diesen Gedenktagen noch etwas anfangen. Doch statt die Besinnung positiv zu vertreten, barmen etliche Kirchenvertreter über die Fehler der Vergangenheit und hadern mit den Austritten. Dabei gibt es mit dem neuen Papst Franziskus für viele Katholiken die Hoffnung, dass ein neuer Aufbruch gelingen kann. Selbst Skeptiker werden hellhörig. Entsprechend wäre mehr Selbstbewusstsein berechtigt.
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