Neue Westfälische (Bielefeld): Kursbestimmung der SPD Agenda 2030 gesucht Thomas Seim
Bielefeld (ots)
Auch Ratschläge können Schläge sein, wie man seit einer entsprechenden Bemerkung des früheren Bundespräsidenten Johannes Rau weiß. Aber selten wirkten die Volksparteien so ratlos wie derzeit. Die SPD ist in einer neuen Umfrage auf 12 Prozent gestürzt. Die einst darüber frohlockende Union kämpft selbst damit, dass sie weit hinter die Grünen zurückgefallen ist. Die Koalitionsparteien schaffen es nicht, die Meinungshoheit zurückzugewinnen. Grund dafür sind Defizite in der Zieldefinition und eine fehlende Streitkultur. Die Globalisierung etwa bedroht mit dem Raubtierkapitalismus eines US-Präsidenten Trump und der Wirtschaftsweltmacht China Europas Eigenständigkeit, aber die Kanzlerin versteckt sich in Europawahlkampf und Europa-Debatte. Die Politik zu Zeiten Brandts, Schmidts oder Schröders würde eine wirkungsvolle Antwort auf die Herausforderung der neuen Seidenstraße präsentiert haben, mehr Europa wagen und sich nicht zur Randfigur des neuen Kräftemessens degradieren lassen. Die Sozialdemokraten sind heute durch die Entwertung der Arbeit gefordert. Sie müssen mit ihren europäischen Partnerparteien entschiedener eine Art Weltsozialabkommen zum Thema des politischen Streits machen. Soziale Emanzipation wäre ein Erfolg versprechendes Kampfthema. Innenpolitisch rufen die Digitalisierung und die Revolution der Arbeitsorganisation ganz neue Teilhabefragen auf. Welchen Teil der Lohnsteuer soll Kollege Roboter künftig zahlen? Eine Frage, die mindestens so zentral wird wie es die Klimaziele sind. Auch diese Klimaziele werfen neue Fragen auf. Es fehlt ein Masterplan der Energiewende. In Bottrop werkeln seit Jahren sehr erfolgreich ein ehemaliger und ein amtierender SPD-Oberbürgermeister am klimagerechten - und bezahlbaren - ökologischen Umbau von Stadt-Quartieren. Da wird Umweltpolitik nicht abstrakt, sondern konkret, nicht zum Armutsrisiko, sondern zum günstigeren Zukunftsprojekt. Dazu: Mobilitätswende, CO2-freie City-Logistik, eine Offensiv-Debatte über Sicherung und Ausbau deutscher, auch europäischer Industrie- und Technologiekonzerne. Es gab eine Zeit, in der die SPD dafür stand, das Leben für arbeitende Menschen zu erleichtern und dazu qualifizierte und gut bezahlte Arbeit zu schaffen. Das war ihre Stärke. Kurz: Eine Agenda 2030 wäre eine gute Kampfansage. Wenn die Initiative "Die wahre SPD" darauf zielt, dann könnte das der alten Volkspartei helfen, Volkspartei zu bleiben. Denn auch das zeigen die Umfragen: Zur Volkspartei reicht trotz des Höhenflugs bei den Grünen - noch - nicht. Die Wählerschaft sucht vor allem eine Alternative zur ausgedienten "Alternativlos-Politik". Eigentlich ist es ganz einfach. Eigentlich braucht es weder Rat noch Schläge.
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