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Gleiches Recht
Kommentar von Jens Kleindienst zur Wahlrechtsreform

Mainz (ots)

Selten wurde im Bundestag so emotional gestritten wie an diesem Freitag, und die Opposition hat dabei schweres verbales Geschütz aufgefahren. CDU, CSU und Linke werfen der Ampel-Koalition einen Anschlag auf die Demokratie vor, von Wahlmanipulation ist die Rede; aus München kam die Unterstellung, dass SPD, Grüne und FDP den Süden der Republik mundtot machen wollten. Haben wir demnächst US-amerikanische Verhältnisse, wo auf Ebene der Bundesstaaten seit Jahren nach Lust und Laune getrickst und betrogen wird, um die jeweils andere Seite um ihre Wahlchancen zu bringen? Nein. Wer so etwas behauptet, erzählt Quatsch. Was der Bundestag am Freitag mit den Stimmen der Ampel-Koalition beschlossen hat, ist eine ebenso überfällige wie tiefgreifende Wahlrechtsreform. Sie ist gerecht, schafft gleiche Bedingungen für alle, wie es das Grundgesetz verlangt. Allerdings ist es eine Reform mit Nebenwirkungen, über die noch zu reden sein wird.

Zunächst einmal ist es ein großer Fortschritt, dass der Bundestag von derzeit 736 auf 630 Abgeordnete verkleinert wird. Natürlich hätte die Schrumpfkur noch radikaler ausfallen können, schließlich liegt die bisherige Richtgröße des Hohen Hauses bei 598. Erreicht wurde sie wegen der ausufernden Zahl von Überhang- und Ausgleichsmandaten schon lange nicht mehr. Das leichte Anheben des Deckels ist eine Antwort an jene, die nun eine große Zahl verwaister Wahlkreise befürchtet haben. Nach der Reform wird es direkt gewählte Bewerber geben, die trotz ihres Erfolgs kein Mandat gewinnen, weil es das Zweitstimmenergebnis ihrer Partei nicht hergibt. Verfassungsrechtlich geht das in Ordnung - aus einer höchst relativen Mehrheit von teilweise weniger als 20 Prozent erwächst kein Rechtsanspruch auf ein Bundestagsmandat.

Problematisch ist hingegen das auf den letzten Metern von der Koalition in den Gesetzentwurf gedrückte Aus für die Grundmandatsklausel. Diese sichert gerade die parlamentarische Existenz der Linkspartei, sie wirkt als Artenschutz für regionale Gewächse in der Parteienlandschaft. Das hat der Demokratie in den vergangenen Jahrzehnten nicht geschadet. Gleichwohl hat die Grundmandatsklausel ihre Kehrseite: Sie ist ungerecht gegenüber jenen, deren Stimmen sich relativ gleichmäßig über die Republik verteilen und sich deshalb ohne Hintertürchen der Fünf-Prozent-Klausel stellen müssen.

Dass nun ausgerechnet die Union laut "Betrug" ruft, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Hat sie in der parlamentarischen Beratung doch selbst auf die rechtliche Problematik der Klausel hingewiesen. Dabei geriet den Strategen anscheinend aus dem Blick, dass auch die CSU einmal von diesem Artenschutz profitieren könnte. Noch aus einem weiteren Grund muss sich die Union an die eigene Nase fassen. Über viele Jahre in Regierungsverantwortung hat sie es nicht geschafft, eine mehrheitsfähige Wahlrechtsreform auf den Weg zu bringen. Alle Anläufe scheiterten am Widerstand der CSU, die nicht bereit war, zwecks Parlamentsverkleinerung auch nur auf ein einziges ihrer Direktmandate zu verzichten. Dieser bayerische Egoismus hat sich nun gerächt.

Selbst schuld, könnte man nun in Richtung Union rufen und es dabei belassen. Jedoch ist das Szenario, dass eine Regionalpartei 30, 40 Wahlkreise gewinnt und dennoch aus dem Bundestag fliegt, der Akzeptanz der parlamentarischen Demokratie nicht zuträglich. Heilen ließe sich das durch die Zulassung von Listenverbindungen, die Ampel-Koalition sollte nach ihrem Erfolg in der Hauptsache dazu einen Beitrag leisten. Union und Linke wollen vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Das ist ihr gutes Recht, und es ist gut, wenn Karlsruhe hier das letzte Wort hat. Erst eine höchstrichterliche Entscheidung kann in dieser vergifteten Debatte für eine Befriedung sorgen. Bis zur nächsten Bundestagswahl ist dafür noch genügend Zeit.

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