Dieter Deiseroth, Richter am Bundesverwaltungsgericht Leipzig, im Gespräch mit tagesschau.de: "Die Bundesregierung betritt rechtliches Neuland"
Hamburg (ots)
Der Richter am Bundesverwaltungsgericht, Dieter Deiseroth, sieht die Gefahr, dass Bundeswehrsoldaten im Rahmen der AWACS-Einsätze in einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg verwickelt werden könnten. Im Gespräch mit tagesschau.de sagte er: "Sobald die AWACS-Maschinen unter deutscher Beteiligung in die Kriegsführung - und sei es nur in Form einer Informationsbeschaffung - einbezogen werden, würden sie sich an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg beteiligen, denn die Vorraussetzung für einen Krieg nach der UN-Charta, ein Mandat des UN-Sicherheitsrates, liegt nicht vor."
Die Frage, ob die Bundesregierung bereits jetzt - ohne dass die Türkei ihre Kriegsbeteiligung erklärt hat - gegen Völkerrecht und Verfassung verstoße, machte Deiseroth davon abhängig, "welchen Auftrag die AWACS-Maschinen haben und wer Zugriff auf die gesammelten Daten hat, die sich auf den Bildschirmen in den Flugzeugen und am Boden befinden. Ist zum Beispiel gewährleistet, dass diese Informationen nicht den kriegsführenden Parteien zur Verfügung stehen?"
Innerhalb der NATO gebe es keine rechtliche Bündnisverpflichtung, sich an einem völkerrechtswidrigen Krieg zu beteiligen. Der NATO-Vertrag sehe ausdrücklich vor, dass die Mitgliedsstaaten ausschließlich innerhalb des Rahmens der UN-Charta handeln müssten. Auch die Frage, ob politische Verpflichtungen gegenüber den USA bestünden, dürfe nur im Rahmen des geltenden Völkerrechts und der geltenden Verfassung beantwortet werden.
Die Bundesregierung betrete "absolutes Neuland", indem sie sich in einer wichtigen Frage gegen einen ihrer Haupverbündeten wende. Deiseroth plädierte dafür, eine Entscheidung vor dem Internationalen Gerichtshof darüber herbeizuführen, ob der Krieg gegen den Irak völkerrechtswidrig sei.
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