Grüne Woche 2018: Abschluss 10. Global Forum for Food and Agriculture: Mit nachhaltiger Tierhaltung die Welternährung sichern
Berlin (ots)
Im Jahr 2050 werden auf der Erde zehn Milliarden Menschen leben. Mit dem Wachstum verändern sich auch die Konsumgewohnheiten. Immer mehr Menschen leben in Städten und eine wachsende Mittelschicht sorgt dafür, dass die Nachfrage nach Fleisch, Milch und Eiern rasant steigt. Wie kann es gelingen, die Tierhaltung produktiver zu gestalten, um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren, gleichzeitig aber das Klima und die knapper werdenden Ressourcen Boden und Wasser zu schonen? Und zudem den Ansprüchen der Verbraucher an hohe Tierschutzstandards gerecht zu werden? Diese Fragen diskutierten über 2.000 Vertreter aus Politik und Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft in zehn Fachpodien, zwei High Level Panels und einem Wirtschaftspodium auf dem mittlerweile zehnten Global Forum for Food and Agriculture (GFFA) in Berlin.
Tierhaltung sichert Existenz von 1,3 Milliarden Menschen
In der Auftaktveranstaltung erinnerte der Generaldirektor des International Livestock Research Institute (ILRI), Jimmy Smith, daran, dass die Tierhaltung weltweit die wirtschaftliche Existenz von 1,3 Milliarden Menschen sichert. Doch Produktionssysteme und Verbrauch unterscheiden sich erheblich: Während jeder Europäer im Durchschnitt jährlich mehr als 70 Kilogramm Fleisch verzehrt, sind es in Afrika gerade einmal acht Kilogramm. Smith warnt davor, den Verzehr tierischer Produkte und die Tierhaltung generell zu verteufeln, wie es immer öfter im globalen Norden passiere: "Eine stärkere Nachfrage nach Fleisch kann in den Ländern des Südens für Einkommen und Arbeitsplätze sorgen", sagte Smith.
Im High Level Panel der Europäischen Kommission wies der Generaldirektor der UN-Landwirtschafts-und Ernährungsorganisation, José Graziano da Silva, auf die Bedeutung tierischer Proteine für die menschliche Ernährung hin. Viele Menschen in den armen Ländern nehmen zu wenig Eiweiß zu sich; gerade für Kinder und Jugendliche sowie ältere Menschen sei das hochwertige tierische Protein essenziell und nur schwer zu ersetzen. Zudem seien Nutztiere gerade für die Ärmsten der Welt das wichtigste Kapital. Besonders prekär ist die Lage für die nomadisierenden Viehzüchter in der Sahelzone: Der Klimawandel mit seinen sinkenden Niederschlägen lässt die Weideflächen vertrocknen, während wärmeliebende Insekten verheerende Krankheiten auf die Tiere übertragen. Doch verlieren die Pastoralisten ihre Herden und damit ihren Lebensunterhalt, bleibt ihnen oft nur die Migration - in die benachbarten Städte oder auch über das Mittelmeer nach Europa. "Wir müssen den Ärmsten der Armen helfen, ihr Überleben vor Ort zu sichern", so sein Appell an die Diskussionsteilnehmer.
Tierhaltung bewirkt 14 Prozent der Treibhausgas-Emissionen
Unbestritten ist, dass die Tierhaltung mit erheblichen Umweltauswirkungen verbunden ist: Sie ist für rund 14 Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. "Unser nationales Forschungsinstitut hat gezeigt, dass wir Fleisch auch klimaneutral produzieren können", versicherte der brasilianische Agrarminister Blairo Maggi. Entscheidend dafür sei der Einsatz moderner Technologien bei Tierzucht, Fütterung und Weidemanagement sowie eine kluge Kombination von Ackerbau, Forst und Tierhaltung. Seine Amtskollegin aus Sambia, Dora Siliya, fordert sowohl in der Politik als auch bei den Tierhaltern selbst ein Umdenken: "Sie müssen die Nutztierhaltung nicht nur als 'way of life', sondern als Business betrachten!" Hierfür will die Ministerin durch bessere landwirtschaftliche Beratung, Finanzierungsmöglichkeiten und eine bessere Anbindung der Produzenten an die Märkte sorgen.
Einig waren sich alle Podiumsteilnehmer, dass es keine Pauschallösung für eine effizientere und verantwortungsbewusstere Tierhaltung gibt. So hätten beispielsweise Haltungssysteme, die großen Wert auf das Tierwohl legen, nicht unbedingt automatisch eine bessere Emissionsbilanz, sagte EU-Agrarkommissar Phil Hogan. "Wir müssen die richtigen Anreize für die Landwirte setzen. Wenn die Zahlungen sich an bestimmten Umwelt- und Klimazielen orientieren, bekommen wir auch die Aufmerksamkeit der Bauern", ist Hogan überzeugt.
Nachhaltigkeit als Geschäftsmodell
"Die Agrarbranche muss sich darauf einstellen, dass sich die Dinge ändern: Sie müssen all Ihre Geschäftspläne auf Nachhaltigkeit ausrichten, sonst werden Sie vom Markt gefegt", so die klaren Worte, die Bundesagrarminister Christian Schmidt an die Gäste des Internationalen Wirtschaftspodiums richtete. Der Minister prangerte Produktionsmethoden an, die nur auf schnelles Geld abzielen, aber gesamtgesellschaftlichen Schaden anrichten können, etwa der unverantwortliche Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung, der zur Entwicklung von Multiresistenzen führt. Zudem würden sich Produktionsauslagerungen, die nur auf eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit abzielen, verbieten, so der Minister weiter. Er rief alle Anwesenden und ihre Berufskollegen dazu auf, Verantwortung zu übernehmen, "dann können wir die Welt auch ernähren."
Das Internationale Wirtschaftspodium, das im Rahmen des GFFA traditionell von der deutschen Agrar- und Ernährungswirtschaft ausgerichtet wird, sollte klären, welche Rolle dabei der Handel spielen kann und wie die Nahrungsmittel-Lieferketten verbessert werden können. Während der Vizegeneraldirektor der Welthandelsorganisation, Alan Wolff, die Vorteile offener Märkte betonte und Bernd Naaf, Kommunikationsleiter bei der Bayer AG, den zunehmenden Protektionismus in bestimmten Märkten als "potenziell verheerend für Länder mit niedrigem Einkommen" bezeichnete, warnte der Generalsekretär der Deutschen Welthungerhilfe, Till Wahnbaeck davor, Freihandel als Allheilmittel zu propagieren. "Wir dürfen unsere Freihandelsregelungen nicht Märkten auferlegen, die sich gerade entwickeln und noch nicht konkurrenzfähig sind; hier kann ein Schutz für eine gewisse Zeit durchaus angebracht sein", betonte Wahnbaeck. Als Beispiel nannte er das westafrikanische Land Burkina Faso, in dem Kleinbauern und Pastoralisten versuchten, Absatzmärkte für ihre Milch aufzubauen, sich aber kaum gegen die Konkurrenz des zu Niedrigpreisen importierten Milchpulvers behaupten können.
Der Vorsitzende der Task Force "Agrarmärkte" der EU-Kommission, Cees Veermann, setzte sich für mehr Markttransparenz und eine Stärkung der Position der Erzeuger ein, indem sie die Möglichkeit erhalten, ihre Produkte gemeinsam zu vermarkten. "Wir müssen die Vorschriften für Kooperationen und das Wettbewerbsrecht klar fassen, damit die Landwirte sich rechtlich abgesichert zusammenschließen können", so der Hochschulprofessor und ehemalige Agrarminister der Niederlande.
Landwirtschaftliche Wertschöpfungsketten bieten gerade mit Blick auf die hohe Jugendarbeitslosigkeit im globalen Süden großes Potenzial, doch die jungen Menschen kehren der Branche den Rücken - zu risikobehaftet, zu regelbelastet, zu wenig lukrativ, so die Direktorin des Internationalen Handelszentrums (ITC), Arancha González. "Wir müssen dafür sorgen, dass Landwirtschaft wieder cool ist", lautete ihr Aufruf an ihre Mitstreiter. "Nichts ist so cool wie Rentabilität", lieferte der Präsident des Weltbauernverbands (WFO), Theo de Jager, gleich das passende Rezept. Die Realität der kleinbäuerlichen Landwirtschaft sei davon jedoch zumindest in Afrika weit entfernt - mit durchschnittlichen Betriebsgrößen von unter einem Hektar, Maiserträgen von weniger als einer Tonne pro Hektar und einem Erlös von 0,50 US-Dollar am Tag. Was der Sektor brauche: Mechanisierung, Modernisierung, Kommerzialisierung.
Minister fordern nachhaltige und leistungsfähige Tierhaltung
Den politischen Höhepunkt der dreitägigen Veranstaltung bildete die 10. Berliner Agrarministerkonferenz - die weltweit größte ihrer Art. Landwirtschaftsministerinnen und -minister aus 69 Staaten sowie Vertreter der EU-Kommission und zahlreicher internationaler Organisationen waren auf Einladung von Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt nach Berlin gekommen, um auf der Basis der vorangegangenen Diskussionen Eckpunkte für eine nachhaltige und leistungsfähige Tierhaltung festzuklopfen.
In ihrem Abschlusskommuniqué rufen die Regierungsvertreter ihre Amtskollegen und alle internationalen Organisationen zum Handeln auf. Sie sollen sich einsetzen für
- die Gewährleistung der globalen Ernährungssicherung, unter anderem durch eine effizientere und nachhaltige Erzeugung und einen besseren Zugang zu tierischen Lebensmitteln; - die Verbesserung der Existenzgrundlage der Nutztierhalter, indem sie eine gewichtigere Stellung in den Wertschöpfungsketten erhalten und Arbeitsbedingungen vorfinden, die den Normen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) entsprechen; - den Schutz von Klima, Umwelt und Ressourcen, indem sie ressourceneffiziente Agrarsysteme sowie den Wissensaustausch zur Reduzierung von Emissionen aus der Tierhaltung fördern; - die Verbesserung von Tiergesundheit und Tierwohl, unter anderem durch einen besseren Zugang zu Veterinärmedizin und -beratung. Einhellig fordern die Ministerinnen und Minister, die Entstehung von Antibiotikaresistenzen zu verhindern und hierfür gegen einen unnötigen Einsatz der Mittel in der Tiermast vorzugehen.
Mit dem Kommuniqué verpflichten sich die Agrarministerinnen und -minister gleichzeitig, die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, die 2015 von der internationalen Staatengemeinschaft verabschiedet wurde, aktiv zu unterstützen. Zum Abschluss der Konferenz übergab Bundesminister Christian Schmidt das Kommuniqué an die Generaldirektorin der Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE), Monique Eloit, und den Generaldirektor der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), José Graziano da Silva.
Das Global Forum for Food and Agriculture (GFFA) wird seit 2009 im Rahmen der Internationalen Grünen Woche veranstaltet. Auf der hochkarätigen Konferenz treffen sich Expertinnen und Experten aus der ganzen Welt, um über zentrale Zukunftsfragen der globalen Landwirtschaft und Welternährung zu diskutieren. 135 der 199 Länder der Welt haben bereits am GFFA teilgenommen. In diesem Jahr stand die Konferenz unter dem Motto "Die Zukunft der tierischen Erzeugung gestalten - nachhaltig, verantwortungsbewusst, leistungsfähig".
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