Medizintechnik zwischen Wachstum und Finanzierungsfrage
Abschlussbericht zur WirtschaftsWoche-Tagung "Medizintechnik" (3./4. Juli 2008 in Berlin)
Düsseldorf (ots)
Berlin, 09. Juli 2008. Die Medizintechnik bleibt weiterhin eine Wachstumsbranche, obwohl eine geringe Planungssicherheit die Geschäfte erschwert. So lautete der Konsens unter den Teilnehmern der WirtschaftsWoche-Tagung "Medizintechnik" am 3. und 4. Juli in Berlin. Die Branchenvertreter zeigten, dass mit ihren Produkten die Effizienz im Gesundheitswesen gesteigert werden kann, berichteten aber auch von einem zunehmenden Finanzierungsproblem.
"Die deutsche Medizintechnikindustrie wird ihre Umsätze in diesem Jahr um sechs Prozent steigern können", prognostizierte Sven Behrens, Geschäftsführer des Branchenverbandes Spectaris auf der WirtschaftsWoche-Tagung. Bereits 2007 erwirtschaftete die Branche einen Umsatz von 17,3 Milliarden Euro, wobei 11,1 Milliarden Euro aus dem Exportgeschäft kamen. "Die Medizintechnik führt die Top Ten der Innovationstreiber an", ergänzte Prof. Dr. Günter Neubauer, Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomik. Über 15 700 Patente meldete die Branche 2006 an - mehr als die Informationstechnik oder die Automobilindustrie. Rund neun Prozent ihres Umsatzes investierten die Unternehmen in Forschung und Entwicklung, rund ein Drittel der Produkte sind nicht älter als drei Jahre. "Tüftler und Ingenieure tun sich hier ordentlich zusammen", so Neubauer.
Branche fordert Planungssicherheit
Die Ausgaben für Medizintechnikprodukte betragen jährlich über 22 Milliarden Euro. Da im Jahr 2050 vermutlich 40 Prozent der Menschen über 56 Jahre alt sein werden, sind künftig höhere Kosten zu erwarten. "Die letzte Reform hat das Problem des demographischen Wandels nicht gelöst, und die nächste Reform ist schon in Sichtweite", sagte Neubauer. Die unsichere Gesetzeslage erschwere die Investitionen und Geschäfte. "Entweder setzen wir gerade aktualisierte Gesetze um, oder wir sprechen schon wieder über neue." Eine Situation, die auch Bernd von Polheim von GE Healthcare Germany kritisierte: "Ein Unternehmer, der ein Geschäft auf Basis von Regeln machen will, die im nächsten Jahr nicht mehr gelten, erhält doch von keiner Bank einen Kredit. Wir brauchen längerfristige Rahmenbedingungen von der Politik." Torsten Winterfeldt von Johnson & Johnson ergänzte: "Es gibt einfach keine Planungssicherheit." Er bewundere jeden, der heute noch ein Medizinstudium beginne: "Niedergelassene Ärzte müssen 160 Patienten pro Tag behandeln, um überhaupt normales Geld zu verdienen. Oder denken Sie an die ambulanten Zentren, die optimistisch eingerichtet werden, obwohl niemand weiß, was morgen verhandelt wird."
"Gesundheitsfonds vernichtet jede Investitionsbereitschaft"
"Die Finanzierung von Innovationen in der Medizintechnik wird immer schwieriger", prophezeite der Geschäftsführer des Bundesverbandes Medizintechnologie (BVMed), Joachim Schmitt. "Mit dem Solidarprinzip allein können wir uns heute keine unendliche Gesundheitsversorgung mehr leisten."
Der ab 2009 geltende Gesundheitsfonds werde die Investitionsfreude der Kassen vernichten, sagte Prof. Dr. Herbert Rebscher, Vorstandsvorsitzender der DAK, voraus: "Haben wir erst den Einheitsbeitragssatz, werden Sie keine Krankenkasse mehr erleben, die bereit ist zu investieren." Bislang seien die Kassen bereit, Investitionen in Medizintechnik "ein Stück mitzutragen". In 380 Einzelverträgen habe die DAK Innovationsförderung für Produkte aus Bereichen wie Wundversorgung oder Kardiologie zugesichert. Solche Selektivverträge würden in Deutschland weiter zunehmen, seien aber als Suchprozess nach der Wirksamkeit eines Produkts und nicht als verlässliche Finanzierungsquelle zu sehen, so der Kassenchef. "Sobald sich zeigt, dass ein Produkt einen hohen therapeutischen Nutzen hat, wird es ohnehin in den Versorgungskatalog aufgenommen." Schwierig sei für Kassen der Umgang mit den unterschiedlichen Altersgruppen: "Wir kämpfen um die wechselwilligen 20- bis 40-Jährigen, die uns traumhafte Deckungsbeiträge bescheren. Aber diesen Menschen brauchen wir mit einer mittelfristigen Innovationsargumentation gar nicht erst zu kommen." Medizintechnische Produkte müssten nach dem Nachweis ihres therapeutischen Nutzens eingepreist werden, so Rebscher. Sein Appell an die Industrie: "Wenn Sie als Hersteller von Ihrem Produkt überzeugt sind, dann gehen Sie die Kassen offensiv an und bieten ihnen attraktive Investitionsmodelle."
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