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Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Welttag des Buches

Bielefeld (ots)

Nur Wasser, Hopfen, Malz und Hefe - daraus soll
es sein, das deutsche Bier, und weil der Bayernherzog Heinrich IV. 
das vor 492 Jahren genauso sah, feiern wir heute den Tag des 
deutschen Biers. Weil aber der Welttag des Buches auf dasselbe Datum 
fällt, muss man auf die Reihenfolge achten - sonst kommt der 
Vollrausch vor der Lektüre und verhindert diese. Die stellvertretende
Vorsitzende des Börsenvereins des deutschen Buchhandels hat 
offensichtlich zuerst getrunken.
Anders ist Viola Taubes Vorschlag, in der Schule sollte Goethe nicht 
gelesen werden, kaum zu erklären. Die Funktionärin hält es allen 
Ernstes für pädagogisch geboten, auf den Abstand zwischen der 
»unsäglichen« Schullektüre (Goethe) einerseits und den Lebenswelten 
der Jugendlichen andererseits mit unmittelbar problembezogener 
Literatur zu reagieren. Sei beispielsweise Mobbing in der Klasse ein 
Thema, so solle die Auseinandersetzung mit dem Sujet anhand 
entsprechender Texte erfolgen.
Gute Deutschlehrer nehmen seit Jahr und Tag ihre Schüler bei der Hand
und führen sie durch ein Jahrtausend deutscher Literatur, in dem 
Walther von der Vogelweide ebenso seinen Platz haben muss wie Martin 
Walser und Daniel Kehlmann. Und Goethe.
Die Klassiker so zu idealisieren, dass sich der Bezug zum Heute im 
bildungsseligen Wolkenkuckucksheim pulverisiert, war einst beliebte 
Schulpraxis, aber schon immer falsch. Auch ist es ein Irrtum zu 
glauben, frühere Schülergenerationen hätten sich bei der Ankündigung,
jetzt werde der »Faust« gelesen, vor Begeisterung Zopfmuster ins 
Beinkleid gekniffen. Nick Knatterton fand mehr über die Welt heraus 
als Goethes Titelheld, Batman hatte coolere Tricks drauf als 
Mephisto, und bei Heidi Klum wäre aus der Gruppe der Manga-Models das
Gretchen als erstes rausgeflogen.
Ja, so denken wir in jungen Jahren alle.
Mit der Zeit aber erschließen wir uns vielleicht doch noch den 
unwiderstehlich farbenprächtigen Kosmos der Literatur. Dafür 
allerdings muss der Keim der Liebe zum geschriebenen Wort in uns 
gelegt sein. Der Welttag des Buches ist löblich. Ungleich wichtiger 
ist die Schule. Völlig unverzichtbar wiederum sind die Eltern: Das 
Kind findet seinen individuellen Zugang zur Welt, indem es die 
Erwachsenen nachahmt - im Haus, in dem die Eltern lesen, vorlesen 
zuerst, eröffnen sich ihm soziale Chancen, die literaturferne Kinder 
niemals erhalten.
»Wenn Oliver Kahn öffentlich sagt, er lese gerne, kommt das bei den 
Leuten an«, behauptet Viola Taube. Kennen Sie jemanden, der wegen 
Olli in die Buchhandlung rennt? So ein Schmarrn! Er rennt zum 
Fußballplatz.
»Lesen ist ungeschützter Verkehr mit dem Intellekt des Anderen«, sagt
der Philosoph Peter Sloterdijk. Wohl wahr: Wer liest, lässt sich auf 
fremde Vorstellungen ein. Wer liest, macht sich nicht zum Maßstab 
aller Dinge. Wer liest, schätzt das Miteinander. So verstanden, ist 
der Bücherfeind aller Welt Feind: bedingt sozialverträglich.

Pressekontakt:

Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261

Original-Content von: Westfalen-Blatt, übermittelt durch news aktuell

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