Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) kommentiert:
Bielefeld (ots)
In einem abgedunkelten Raum hockt ein übergewichtiger Jugendlicher vor seinem Computer und hämmert auf die Tastatur ein. Die Hitze der frisierten Grafikkarte entweicht durch die geöffnete Seitenwand des PCs... Es gibt sie sicher noch, die Hardcore-Spieler, immer auf der Suche nach neuen Herausforderungen in digitalen Welten, die jeden Cent und ihre ganze Freizeit investieren, um mitspielen zu können. Allerdings gibt es nicht genug von ihnen, um der erfolgsverwöhnten Unterhaltungsindustrie immer neue Umsatzrekorde (645 Millionen Euro im Vorjahr, plus 16 Prozent) zu ermöglichen. Vorbei ist auch die Zeit, als potentielle Spieler noch technische Hürden überwinden oder dicke Handbücher studieren mussten, um mitspielen zu können. Videospiele sind keine Randphänomen mehr, sondern in der Mitte der Gesellschaft angekommen. 28 Prozent aller Deutschen über 14 Jahre spielen digitale Spiele. Die Games Convention, die noch bis Sonntag 200 000 Besucher nach Leipzig locken will, beweist es eindrucksvoll. Junge Männer sind dort nicht mehr unter sich: Inzwischen ist jeder vierte Daddler weiblich, elf Prozent der Spieler sind älter als 50 Jahre. Videospiele versammeln Familien zum gemeinsamen Zeitvertreib vor PC oder Konsole - von Vereinsamung keine Spur. Das Bestreben der Industrie, neue Zielgruppen zu erschließen, hat auch neue Spiele hervorgebracht. »Casual Games« nennen die Manager Titel für Gelegenheitsspieler, die den schnellen Spaß zwischendurch suchen. Kaum ein Verlag auf der Games Convention, der die Zielgruppe nicht bedient. Auf Familienspielen klebt das Etikett »Family Entertainment«: Darunter fallen auch das in Deutschland erfolgreiche Singstar für die Playstation, eine Art Super-Promi-Karaoke, und der Guitare Hero, der den Spieler zum Mitglied einer Band macht. Für beide Titel benötigt man Zusatzgeräte - sehr zur Freude der Hersteller - , hier Mikrofone und Gitarre, bei anderen Titeln Tanzmatte, Buzzer, Kamera... Gesundheitsfördernder Nebeneffekt: Diese Titel holen den Spieler vom Sofa holen. Ein bewegender Trend, den die Wii-Konsole mit ihrem innovativem Bedienkonzept befeuert. Mehr als 36 Prozent der Haushalte mit Internetzugang nutzen das Netz für digitale Spiele, Tendenz steigend. Kein Wunder also, dass immer neue Massiv-Multiplayer-Online-Games auf den Märkt drängen. Nicht länger mehr toben im Netz fast ausschließlich Schlachten zwischen Orks, Elfen & Co.: Auch dort soll es familienfreundlich zugehen. Videospiele sind raus aus der Schmuddelecke. Wie bei der Einführung des Fernsehens vor 60 Jahren mussten die Videospieler den Umgang mit dem Medium erst erlernen. Bei aller Begeisterung für die schöne, neue Spielewelt: Kinder und Jugendliche dürfen wir darin nicht alleine lassen. Eltern sollten die erste Schritte mit ihren Kindern gemeinsam gehen, und ihnen dabei helfen, Konsole und PC in ihre Freizeit einzubauen, aber sich nicht von ihnen die Freizeitgestaltung diktieren zu lassen.
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