Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) kommentiert:
Bielefeld (ots)
Mit Wirtschaftswachstum gewinnt man Wahlen, mit Umweltschutz nicht. Sowohl Gerhard Schröder als auch Angela Merkel schafften es mit dem Versprechen, Arbeitsplätze zu erhalten und neue zu schaffen, ins Kanzleramt. 2009 wird wieder gewählt, und schon jetzt steht fest, dass das Wort Wachstum in den Wahlkampfreden Konjunktur haben wird, Umweltschutz wohl nicht. Gestern kündigte Angela Merkel ein neues Konjunkturprogramm für den Januar an, um die Wirtschaftskrise einzudämmen. »Nochmals ein paar Milliarden« würden wohl draufgelegt, sagte die Kanzlerin in Mannheim. Mit Unternehmensvertretern und Gewerkschaftern hatte sie sich am Sonntag in Berlin beraten. Wieder gewählt wird im Januar in Hessen. CDU-Spitzenkandidat Roland Koch will diesmal aber nicht die Jugendkriminalität bekämpfen, sondern »Arbeitsplätze sichern«. Deutschland, Europa, USA: Die Wirtschaftskrise wollen Regierungen, Politiker und Parteien überall bekämpfen, der Klimaschutz wird nur die zweite Geige spielen. Einen Vorgeschmack gab's gerade beim EU-Gipfel in Brüssel. Polens veraltete Kohlekraftwerke dürfen fürs erste die Atmosphäre weiter verpesten. Osteuropa werden Sonderrechte zugestanden. Renommierte Klimaforscher wie Mojib Latif von der Universität Kiel beklagen zurecht die Doppelzüngigkeit der Politik. Im Kampf gegen die Weltwirtschaftskrise würden plötzlich Abermilliarden locker gemacht; wenn es um höhere Umweltschutzstandards gehe, beteuerten dieselben Regierungen gebetsmühlenhaft, dafür fehle das Geld. Die Natur hat das Problem, dass sie still und leise schwindet. Eine Wirtschaftskrise dagegen wird sofort greifbar. Während von Arbeitslosigkeit bedrohte Mitarbeiter medienwirksam vor den Werkstoren demonstrieren, protestieren bedrohte Tier- und Pflanzenarten nicht. Parteien wählen können sie ohnehin nicht. Aber muss die Natur zwingend unter der Wirtschaft leiden? Nein. Vielmehr können Unternehmen mit der Antwort auf den Klimawandel Geld verdienen. Klimaschonende Technik in Industrie und Verkehr birgt ein immenses Wachstumspotenzial, betont Claudia Kemfert, die die Abteilung für Energie, Umwelt und Verkehr am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin leitet. Der Umsatz mit Technik, die den Menschen unabhängiger von den fossilen Brennstoffen macht und den Kohlendioxidausstoß senkt, werde sich weltweit bis zum Jahr 2030 von 400 Millionen auf eine Billion Euro mehr als verdoppeln. Angela Merkel sollte beherzigen, dass sich gerade staatliche Investitionen in klimaschonende Produktionsverfahren doppelt auszahlen: für die Wirtschaft und die Umwelt. Sie vermindern die Abhängigkeit von den hohen Preisen für Öl und Gas. Bei aller Konzentration auf die drohende Rezession dürfen Politiker Klimaschutz nicht als Last empfinden. Für eine ganze Branche ist es die Konjunkturlokomotive der Zukunft. Bei erneuerbaren Energien hat Deutschland viel Potenzial.
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