Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Verzicht von Erika Steinbach
Bielefeld (ots)
Erika Steinbach hat ein Zeichen gesetzt. Sie stellt ihre Person hinter die Sache. Das zeugt von persönlicher Größe. Dass der Bund der Vertriebenen (BdV) einen der drei ihm zustehenden Sitze frei lässt, ist derzeit die beste Lösung, die zu erzielen war. Es bleibt aber ein Moratorium. Auch 70 Jahre nach dem Überfall der Deutschen auf Polen sind die Wunden von Krieg und Vertreibung auf beiden Seiten immer noch tief. Nur so lässt sich die Härte erklären, mit der um eine Personalie gestritten wurde. Nachgeborenen muss das eindringliche Warnung sein. Frieden ist das höchste Gut. Wir Deutsche tun gut daran, Verständnis für die Polen aufzubringen. Die Angst vor Fremdbestimmung mag heute unbegründet sein, doch sie hat tiefe Wurzeln. Mehr als einmal sind die Polen in den vergangenen Jahrhunderten Opfer ihrer Nachbarn geworden - das macht ihr Trauma aus. Ob Erika Steinbach das polnische Misstrauen verdient, ist eine andere Frage. Richtig ist: Ihr Vater war Wehrmachtssoldat in Polen, als sie 1943 in Rahmel in Westpreußen, dem heutigen Rumia, geboren wurde. Vielen Polen gilt Steinbach deshalb als »falsche Vertriebene«. Richtig ist auch, dass die CDU-Abgeordnete 1990 im Bundestag gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze gestimmt hat und später Bedenken gegen Polens EU-Beitritt äußerte. Richtig ist aber auch, dass Erika Steinbach mehrfach erklärt hat, die Vertriebenen seien »Opfer der Politik Hitlers«. Als Präsidentin hat sie den BdV auf einen Kurs der Versöhnung eingeschworen und jeglichen Forderungen an Polen eine Absage erteilt. Vor allem aber ist das Zentrum gegen Vertreibung untrennbar mit dem Namen Erika Steinbach verknüpft. Sie war ein Motor dieses Projekts. Doch all diese Sachargumente drohten auf den Wogen der Empörung hinweggetragen zu werden. Dabei ist viel Populismus im Spiel. Vor allem die SPD und die Grünen haben die Debatte parteipolitisch instrumentalisiert. Indem sie auf Erika Steinbach zielten, sollte Angela Merkel getroffen werden. Wiederholt wurde die Bundeskanzlerin zur Entscheidung gedrängt. Hätte Merkel Steinbach fallengelassen, wäre der Unmut in Teilen der Union groß gewesen. Hätte sie an ihr festgehalten, hätte es geheißen: »Die Kanzlerin setzt das deutsch-polnische Verhältnis aus Spiel.« Erika Steinbach hat Angela Merkel aus dieser misslichen Lage befreit. Und sie hat auch Polens Regierungschef einen Dienst erwiesen. Anders als die Kaczynski-Brüder spielt Donald Tusk nicht die antideutsche Karte. Steinbachs Verzicht stärkt auch seinen Kurs. Doch sollte man sich nicht zu früh freuen. Schon mehren sich in Deutschland Stimmen, die mangelndes Rückgrat monieren und die eigene Autonomie in Frage gestellt sehen. Derweil triumphieren in Polen gewisse politische Kräfte. Beides tut dem deutsch-polnischen Verhältnis nicht gut. Im Krieg gibt es keine Sieger, und auch hier geht es nicht ums Gewinnen. Wer anders denkt und handelt, kann mit Versöhnung nicht viel am Hut haben.
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