Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Thema "Neuer Tarifweg bei Metall":
Bielefeld (ots)
2010 ist alles anders. Zu einem Zeitpunkt, da die IG Metall etwa ein Vierteljahr vor Auslaufen des Tarifvertrages sonst mit hohen Forderungen und Warnstreiks ihre Kampfeslust demonstriert, sucht der Vorsitzende Berthold Huber stattdessen den friedlichen Ausgleich mit Arbeitgeberpräsident Martin Kannegiesser. Verwunderlich ist dies allerdings angesichts der Lage der Branche nicht. Die Produktion der Metall- und Elektroindustrie ist im Krisenjahr 2009 zeitweise um fast die Hälfte eingebrochen. Unterm Strich stand am 31. Dezember ein Minus von fast 35 Prozent. Dagegen blieb die Beschäftigtenzahl dank staatlich subventionierter Kurzarbeit mit minus fünf Prozent fast stabil. Unter den Umständen wäre jede Stunde Warnstreik nur eine Fortsetzung der Arbeitszeitverkürzung zu Lasten der Gewerkschaftskasse. Hohe Lohnforderungen von Seiten der IG Metall, niedrige Gegenangebote der Arbeitgeber, Warnstreiks, Abstimmung, »echte« Streiks verbunden mit der Frage nach Aussperrung, parallel wochenlange Verhandlungen, zuletzt stets bis weit in die Nacht: Der Vlothoer Unternehmer Kannegiesser hat den Verzicht auf diese traditionellen Tarifrituale mit Rücksicht auf die innerbetrieblichen Verhältnisse stets gefordert. Man darf aber davon ausgehen, dass er sich die Umsetzung nicht unter so schwierigen Rahmenbedingungen gewünscht hat. Auch vor dem Hintergrund des derzeitigen Tarifkonflikts im Öffentlichen Dienst muss man annehmen, dass die neuen Töne bei der IG Metall der Not und nicht einem neuen Versöhnungstrieb folgen. Am Ende kann das den Beschäftigten, der Wirtschaft und der Gesellschaft jedoch egal sein. Hauptsache, das Ergebnis ist so, dass nicht nur kurz-, sondern auch langfristig möglichst viele Arbeitsplätze gerettet werden. Schließlich ist die Metall- und Elektroindustrie nach wie vor das Rückrat der deutschen Exportwirtschaft. Wenn zwei sich in einer Sache überraschend einig sind, muss immer ein Dritter aufpassen, dass er nicht zum Leidtragenden wird. In diesem Fall wollen Huber und wohl auch Kannegiesser die Bundesagentur für Arbeit und damit letztendlich den Abgaben- und Steuerzahler mit in die Haftung nehmen. Die Kurzarbeit soll verlängert, ja sogar noch auf bis zu 26 Wochenstunden abgesenkt werden. Wer für die Differenz von drei Stunden, für die der Lohn nicht noch weiter reduziert werden soll, aufkommen wird, ist noch unklar. Die Betriebe können dies aufgrund ihrer prekären Situation kaum leisten. Die Beschäftigten würden bei einer Absenkung ebenfalls an den Rand der persönlichen Insolvenz gedrängt. Bleiben also die Bundesagentur für Arbeit und der Staat. Beide sind knapp bei Kasse. Doch kann, wer gerade die Hotels mit einem Steuergeschenk von jährlich rund einer Milliarde Euro beglückt hat, in dieser ungleich brenzligeren Situation wirklich »Nein« sagen?
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