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Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Berlinale

Bielefeld (ots)

Wenn am Brandenburger Tor eine Leinwand fürs
Public Viewing aufgebaut wird, tritt garantiert die Nationalelf gegen
den Ball. Oder aber es wird ein Film gezeigt, und zwar - das ist 
erstaunlich - ein uralter Film: Fritz Langs »Metropolis« aus dem Jahr
1927 hat trotz arktischer Temperaturen Tausende Filmfans mobilisiert.
In der Hauptstadt läuft die Berlinale, und zwar in einer Zeit - auch 
das ist erstaunlich -, da die Kinos Rekordumsätze melden: Alle wollen
vor der großen Leinwand Platz nehmen. Es tun sich merkwürdige Dinge. 
Der Verkauf von DVDs stagniert, das Fernsehen ackert, um seine 
Zuschauer zu halten, und das mit großem PR-Getöse angepriesene E-Book
bewegt sich nicht vom Fleck. Die Berliner Filmfestspiele hingegen 
expandieren - in immer mehr Spielorte, in immer mehr Programmsparten 
mit immer mehr Filmen, in immer höhere Kartenverkaufszahlen. Bereits 
2009 gab es eine halbe Million Berlinale-Karten, und sie konnten die 
Nachfrage nicht befriedigen. Nicht mal ansatzweise.
All das ist erstaunlich, und es verlangt nach einer Erklärung. Bitte 
sehr: Dieter Kosslick, seit 2002 Chef der Berlinale, besitzt keinen 
PC.
Das soll eine Erklärung sein? Sie ist es. »In dem großen 
Informationsüberflutungswahnsinn sind Festivals dazu da zu sortieren.
Wir setzen dem Datenmüll etwas entgegen.« MyFace kann DeinSpace 
bleiben. Während du dir ein Weltbild via Google zusammenflickst, 
schau ich mir das pralle Leben an. Im Kino.
Das Kino ist Kunst. Die Kunst ist das Leben im Spiegel der Reflexion 
durch das Individuum. Werner Herzog sieht die Welt mit anderen Augen 
als Martin Scorsese - also filmt er anders. Christoph Waltz hat in 
Österreich ganz anders gelebt als Leonardo DiCaprio in Kalifornien - 
deswegen spielt er anders. Die Welt kennt Kameraleute wie Michael 
Ballhaus und Filmmusikkomponisten wie Hans Zimmer mit Namen, aber 
keinen einzigen Klingeltöner.
Es gibt noch einen zweiten Aspekt, der das Kino so attraktiv macht: 
das Gemeinschaftsgefühl. Das Bewusstsein, in der Gruppe einer 
Erzählung zu lauschen und nicht vom Hirnblitz eines Bloggers 
angeflasht zu werden. Roman Polanskis »Ghost Writer« regt die 
Phantasie an, Twitter huscht im Nu vorbei.
Das Kino führt Menschen zusammen und zeigt ihnen eine bunte Welt - 
und immer mehr Zeitgenossen wollen diese Welt sehen. Dürfen wir 
vermuten, dass - langsam, ganz allmählich - das Pendel in die andere 
Richtung zu schwingen beginnt: fort aus der Vereinzelung, hinein in 
die Gemeinschaft? Verstehen wir uns recht: Niemand behauptet, dass 
die Filmkunst unsere in Singles und Ich-AGs explodierte Gesellschaft 
zum einig Volk von Brüdern verschweißt. Doch es bewahrheitet sich 
aufs Neue, dass die einfachen Dinge die genialen sind. Der Fußball. 
Der Film.
Kosslick fragt, was es für das soziale Umfeld bedeute, wenn ein Kino 
schließt. Seine Antwort: »Das ist nicht wiedergutzumachen.«
Deswegen die Berlinale.

Pressekontakt:

Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261

Original-Content von: Westfalen-Blatt, übermittelt durch news aktuell

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