Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Athener Sparprogramm
Bielefeld (ots)
Das Sparpaket ist geschnürt und mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen worden: Zehn Tage, nachdem Griechenland darum gebeten hat, kann es mit Milliardenhilfe rechnen. So richtig Politiker und Ökonomen die Entscheidung auch finden, so richtig sie auch ist - die Volksvertreter sollten einen Akteur nicht vergessen: das Volk. 85,6 Prozent der Griechen fühlen sich unsicher. Das ist das Ergebnis einer Umfrage für die Athener Zeitung »To Vima«. Daran haben auch die Beteuerungen führender Politiker nichts geändert. Die Griechen vertrauen ihnen nicht mehr. Sie haben Angst vor Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg. Sie fürchten den Niedergang ihres Staats, jener Institution, von der sie sich Wohlstand und Fürsorge erhoffen, von der sie sich nun verlassen fühlen. Wieder einmal hat deshalb in Griechenland die Stunde der Gewerkschaften geschlagen. Seit Wochen machen sie Stimmung gegen bereits verabschiedete Sparpakete der Regierung. Am Wochenende kam es in Athen zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei. Von heute an wollen die Beschäftigten der Müllabfuhr streiken. Am Mittwoch soll der Verkehr lahmgelegt werden. Dass die Griechen sich wehren, ist nachvollziehbar. Ob sie ihrem Land damit helfen? Eher nicht. Eine Situation, die ohnehin schon verfahren ist, wird dadurch auf Dauer unkontrollierbar. Chaos ist das Letzte, das Griechenland jetzt gebrauchen kann. Und wie verhalten sich die Deutschen? Der Sache alles andere als dienlich. Immer mehr Bürger zeigen Griechenland die kalte Schulter. Nach Angaben des Marktforschungsunternehmens GfK sind die Umsätze von Reisen nach Griechenland gegenüber dem Vorjahr um sechs Prozent gesunken. In einem Land, dessen Wirtschaft stark vom Tourismus anhängig ist, sind derartige Reaktionen krisenverschärfend. Keine Frage: Einerseits sind die Milliardenhilfen, deren Höhe man immer noch nicht genau absehen kann, gewaltig. Andererseits sind die Sparmaßnahmen hart. Einsparungen von 30 Milliarden Euro bis 2013 sind für das kleine Griechenland kein Pappenstiel. Und bis 2014 das Defizit von 13,6 Prozent auf die zulässige europäische Obergrenze von drei Prozent herunterzufahren, ist ein nicht weniger anspruchsvolles Ziel. Dennoch gibt es Spielraum. Athen hat im Vergleich zu anderen Staaten immer zu geringe Steuern eingenommen und zu viel ausgegeben. Sogar in guten Jahren, als die Wirtschaft kräftig wuchs, war der Staatshaushalt nicht ausgeglichen. Natürlich gibt man das, was man erst einmal hat, ungern wieder her. Die Geschichte hat gezeigt, dass die meisten Regierungen den Staatsbankrott nicht anmelden, wenn sie finanziell am Ende sind. Ihnen fehlt schlichtweg der Wille, hier zu verkaufen und dort zu sparen. Bisher hat die griechische Regierung ihren guten Willen zumindest auf dem Papier bewiesen. Das sollte das Volk auf Dauer eher beschwichtigen als erzürnen.
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