Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Linkspartei
Bielefeld (ots)
Seine Anhänger würden es Punktlandung nennen, seine Kritiker wohl eher von Ironie der Geschichte sprechen: Ausgerechnet jetzt, wo der Saarländer Oskar Lafontaine den Parteivorsitz abgibt, steht die Linke vor ihrem größten Erfolg. Mit jedem Tag, der im Düsseldorfer Koalitionspoker vergeht, rückt Rot-Rot-Grün an Rhein und Weser näher. Für das neue Führungsduo Gesine Lötzsch und Klaus Ernst könnte es ein Traumstart werden. Die 48-jährige Berlinerin heimste bei ihrer Wahl schon einmal das Rekordergebnis von 92,8 Prozent ein. Strahlen ließen die Delegierten auch den 55-jährigen Bayern, der auf respektable 74,9 Prozent kam. Viel Vorschusslorbeeren für die Beiden, die gemeinsam ein Machtvakuum in der Linken verhindern sollen und doch unterschiedlicher nicht sein könnten. Hier die sachorientierte Pragmatikerin aus dem Osten mit SED- und PDS-Vergangenheit, dort der fürs Zuspitzen bekannte und auch in den eigenen Reihen umstrittene Gewerkschafter aus dem Westen, der die WASG mitbegründete, nachdem er aus der SPD verstoßen worden war. Diese Lösung ist so fein austariert, dass sie fast zu schön ist, um wahr zu sein. Erst recht, wenn man bedenkt, dass auch die neue Geschäftsführung nach dem gleichen Strickmuster konstruiert ist. Doch auf eine kritische Selbstbetrachtung will und kann sich die Linke derzeit nicht einlassen. So stand der gesamte Parteitag unter der Direktive, keinen neuen Streit zu entfachen. Harmonie war Trumpf und Ruhe in Rostock deshalb erste Mitgliederpflicht. Dabei sind die Probleme der Partei offensichtlich. Der Vereinigungsprozess dieser zwei so ungleichen Partner aus Ost und West, aus SED-Nachfolgern und SPD-Flüchtlingen, aus Pragmatikern und Fundamentaloppositionellen ist längst nicht abgeschlossen. Die Linke bleibt die Partei der Gegensätze, vom Führungsduo bis hinunter zur Basis. Das zeigt auch die quälende Programmdebatte, die noch mindestens bis Ende nächsten Jahres weitergehen soll. Noch allerdings überdeckt die Serie von Wahlerfolgen alle Gräben. In 13 der 16 Landtagen ist die Linke mittlerweile vertreten. Nur in Baden-Württemberg, Bayern und Rheinland-Pfalz sitzt sie nicht im Parlament. Und nun winkt im größten und industriepolitisch bedeutsamen Nordrhein-Westfalen gar die Teilhabe an der Macht. Kommt es so, ginge die Reifeprüfung für die Linke erst los. Schon werden radikale Forderungen wie die Einführung einer 30-Stunden-Woche und die Verstaatlichung der Energiekonzerne geschleift. Diese Entzauberung mag Mitglieder und Anhänger enttäuschen und wird, früher oder später, Stimmen kosten. Doch nur in Regierungsverantwortung kann die Linke beweisen, dass sie Gestaltungskraft besitzt. Oskar Lafontaine hat seine Partei im Eiltempo bundesweit konstituiert. Gesine Lötzsch und Klaus Ernst müssen die Linke nun einen und etablieren. Ob ihnen das gelingt, ist völlig offen.
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