Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Haiti
Bielefeld (ots)
Haiti und Somalia könnten unterschiedlicher nicht sein. Und doch stehen beide Staaten für eine Reihe von staatlichen Gebilden auf dieser Welt, die in Wahrheit gescheiterte Existenzen sind. Am Horn von Afrika knechten Warlords und Piraten ganze Landstriche, in die sich weder Nothelfer noch schwerbewaffnete US-Soldaten wagen. Auf der Osthälfte der Karibikinsel Hispaniola glaubt man dagegen bisweilen mehr ausländische Helfer als Haitianer beim Wiederaufbau des Landes zu sehen. Und doch scheitert die Weltgemeinschaft daran, das offensichtliche Leid der Menschen hier wie da zu lindern. Dabei sind die Vereinten Nationen zu gewaltigen Leistungen andernorts in der Lage. Aber ohne einen zumindest in seinen Grundzügen funktionierenden Staat gibt es weder ausreichend Essen noch Schutz. Somalia ist seit bald zwei Jahrzehnten unter die Räuber gefallen. Auch Haiti war lange vor dem Erdbeben am 12. Januar 2010 von der Weltgemeinschaft abgeschrieben. »So schlimm das Erdbeben auch war, es ist nicht das größte Problem Haitis«, meinte gestern die für Katastrophenhilfe zuständige EU-Kommissarin Kristalina Georgiewa absolut zutreffend. Größtes Manko sei der Mangel an Institutionen und an guter Regierungsführung. Kaum Entscheidungen an der Spitze, Grundbücher und verlässliche Ansprechpartner vor Ort. Das sind ganz konkrete Hindernisse. Dazu gesellen sich Egoismus, Desinteresse und das völlige Fehlen bürgerschaftlichen Engagements. Die vorerst ausgesetzten Stichwahlen im Kampf ums Präsidenteamt, begleitet von Ausschreitungen, ergänzen das Bild. Die Unfähigkeit des Staates, die Cholera einzudämmen, ist eine weitere Facette im weiten Panorama an Unzulänglichkeiten. Weitgehend ausgeblendet wird - auch bei uns - das extreme Ausmaß an Korruption. Zoll, Lagerhausbesitzer, Grundeigentümer - alle halten die Hand weit auf. Bürgermeister und sonstige Würdenträger schreiben wie selbstverständlich ganz private Wunschlisten, wenn ausländische Minister ihren Besuch ankündigen. Wer helfen will, soll zahlen. Das ist die Realität. Schon manche gute Absicht ist inzwischen in den Niederungen haitianischer Bürokratie gescheitert. Große Hilfsorganisationen und mächtige Ministeriale versichern glaubhaft, dass sie sich solchen Ansinnen widersetzen. Nicht zahlen, auf Zeit spielen und die stärkeren Nerven beweisen, lautet die Devise. So kommt es, dass Hilfsgüter, Baumaterialien und selbst empfindliche Medikamente monatelang liegen bleiben. Kein Wunder also, dass die EU-Gelder für mittel- bis langfristige Maßnahmen erst zu einem Viertel ausgegeben sind - auch wenn wir endlich Fortschritte sehen wollen. Ausbaden muss die bitter notwendige Zurückhaltung vor allem das geschundene Volk in Haiti. Dessen Geduld wird auf eine noch härtere Probe gestellt als unsere.
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