Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema Kairo schaltet Netz ab
Bielefeld (ots)
Während in Kairo Straßenschlachten toben und Blut fließt, wird hinter den Kulissen ein Kampf um die Kontrolle des Internets geführt. Denn dort hat die Bewegung der Regimegegner ihren Anfang genommen. Das Netz bietet der Meinungsvielfalt auf einzigartige Weise Raum. Niemals waren die Hürden niedriger, die ein einzelner überwinden muss, um - zumindest theoretisch - Milliarden seine Meinung kundzutun und zu protestieren. In Ländern, wo Rundfunk und Fernsehen staatlich gelenkt werden, ist es oft sogar das einzige Forum für Kritik. Ängstlich und mit bemerkenswerter Effizienz kontrollieren Staaten wie China deshalb alle Online-Aktivitäten, sperren unliebsame Ideen hinter einer digitalen Variante der Chinesischen Mauer weg. Jetzt hat China dafür gesorgt, dass seine Bürger sich nicht via Internet mit dem arabischen Freiheitsvirus anstecken. Aber es besteht Hoffnung: Findige Regimekritiker liefern sich ein Rennen mit dem Sicherheitsapparat, schaffen es kurzfristig immer wieder, Sperrwortlisten und Filter auszuhebeln und Missstände aufzudecken. In Tunesien und Ägypten haben die Herrschenden vorübergehend den Stecker gezogen und das Netz lahmgelegt. Natürlich hat dieses Vorgehen in der freien Welt einen Aufschrei der Empörung ausgelöst. Allerdings mischen sich darunter auch bedenklich stimmende Töne. Ein Vertreter des deutschen Innenministeriums erklärt: In Deutschland stehen ein Ausschaltknopf fürs Internet nicht zur Debatte. Auch über entsprechende Vorarbeiten auf EU-Ebene sei nichts bekannt. Darüber nachgedacht hat man offensichtlich. In den USA ist man weniger schüchtern: Ein drohender Krieg im Internet rechtfertigt zumindest für einige Senatoren einen entsprechenden Notschalter. Die Väter des Grundgesetzes haben in Artikel 5 der Meinungs- und Informationsfreiheit einen hohen Stellenwert eingeräumt. Würden sie uns heute eine Verfassung geben, würde neben der Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film darin sicher das Internet genannt werden. Ein Held der ägyptischen Revolution heißt Khalid Said. Der junge Mann hat angeblich das Computernetzwerk genutzt, um korrupte Polizisten bloßzustellen. Der Anklage im virtuellen Raum folgte sein realer und gewaltsamer Tod. Seine Freunde warfen der Justiz Vertuschung vor, stellten Fotos seines misshandelten Körpers ins Netz. Der Vorgang trieb Tausende auf die Straße - das war womöglich der Beginn der Proteste. Khalid Said hat ihnen ein Gesicht gegeben. Das Internet macht es leichter, Massen gegen ein Regime zu mobilisieren oder eine einmal losgetretene Protestbewegung in Gang zu halten. Doch ist es weder das einzige Werkzeug noch Allheilmittel. Es sind die Menschen, die den Protest tragen. Das belegt die Entwicklung in Ägypten, und das hatten schon viel früher die Montagsdemonstrationen in der DDR bewiesen. Vielleicht hat der nordafrikanische Sturm in Facebook und Co. seinen Anfang genommen, jetzt aber weht er den Mächtigen in Ägypten und Tunesien auf der Straße entgegen.
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