Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Massaker in Norwegen
Bielefeld (ots)
Entsetzen, Wut, vor allem aber tiefe Trauer: Das Massaker an wahrscheinlich 90 zumeist jungen Menschen und der vorangegangene Bombenanschlag mit womöglich zehn oder mehr Getöteten lassen uns fassungslos verharren. Zu monströs sind die Taten und zu grauenvoll die Details, als dass sie mit menschlichem Verstand zu ermessen wären. Da sind die Familien der Getöteten, die in tiefes Leid gestürzt wurden. Da sind die annähernd 100 Verletzten, von denen viele noch um ihr Leben ringen. Da sind die Angehörigen und Freunde der Überlebenden, die qualvolle Stunden der Ungewissheit erdulden mussten. Und da sind die Angehörigen der Vermissten, für die diese Qual noch immer nicht beendet ist. Wer betet, möge es für alle diese Menschen tun. »Religiöse Ansichten: christlich.« So stand es auf der mittlerweile zu Recht gelöschten Facebook-Seite des Massenmörders Anders Behring Breivik. Dazu gibt es krude Erklärungen in einer 1516 Seiten starken E-Mail, in der von »Kulturmarxismus« und »Islamisierung Europas« die Rede ist. Der Täter brüstet sich, »eine extrem starke Psyche« zu besitzen. In Wirklichkeit manifestiert sich hier hinter einer bürgerlichen Maske eine kranke Seele, die das Christentum ins abgrundtief Böse pervertiert. Die Hinterlassenschaften im Internet sind wirres Zeug, und dennoch sind sie gefährlich, weil sie Gesinnungsgenossen aufstacheln könnten - oder von Islamisten als Beweis für den angeblichen christlichen »Kreuzzug« gegen ihre Religion missbraucht werden könnten. Islamistischer Terror! Blamiert sind jene vermeintlichen Experten, die schon am Freitagabend eilfertig auf das Terrornetzwerk El-Kaida deuteten, das nach der Tötung Osama Bin Ladens seine ungebrochene Stärke habe demonstrieren wollen. Die Experten irrten, weil sie nach den Anschlägen von New York, Madrid und London nur noch eine Blickrichtung kannten. Nun liegt der Fokus auf der rechtsradikalen Szene Europas. Ist der norwegische Massenmörder ein Einzeltäter, wie er behauptet, oder ist er Teil eines Netzwerks von verblendeten Pseudonationalisten? Auf diese Frage müssen Fahnder und Geheimdienste möglichst schnell eine Antwort geben. Auch die norwegische Polizei muss sich unangenehmen Fragen stellen. Warum dauerte es so lange, bis die Spezialkräfte dem Morden auf der kleinen Insel vor den Toren Oslos Einhalt gebieten konnten? Stimmt es, dass die Polizei von einem Händler über den Kauf großer Mengen Düngemittels informiert worden war, ohne dem Hinweis nachzugehen? Gewiss: Auch die beste Polizei der Welt kann Schutz vor fanatischen Einzeltätern niemals garantieren. Höchste Wachsamkeit aber ist unerlässlich. Nach dem Massaker in Oslo stellt sich vor allem eine Frage erneut: Wie geht die freiheitliche Welt mit solchen Bedrohungen um? Norwegens König Harald hat in seiner Fernsehansprache einen Weg gewiesen. Freiheit müsse stärker sein als Angst. »Jetzt stehen wir fest zu unseren Werten«, sagte der König. Dieser Satz hat Gültigkeit weit über die norwegische Tragödie hinaus.
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