Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema Islamisten
Bielefeld (ots)
Der politische Islam ist auf dem besten Wege, als Haupterbe aus dem arabischen Frühling hervorzugehen. Die Wahlen in Tunesien, der Jubel in Libyen zugunsten der Scharia und die Entwicklung in Ägypten setzen klare Signale. Die streng religiösen Untertöne beim Festakt zum siegreichen Ende des libyschen Aufstands am Sonntag in Bengasi waren überraschend. Der Vorsitzende des Übergangsrats Abdul Dschalil war weder dem Westen noch liberalen Libyern bisher als Hardliner aufgefallen. Aber das muss noch nicht das letzte Wort gewesen sein. Wahlen zu einer verfassungsgebenden Versammlung finden frühestens im nächsten Sommer statt. Ganz anders in Tunesien. Dort fanden am Sonntag die ersten freien nationalen Wahlen seit der Unabhängigkeit 1956 statt. Das ist für sich schon ein Riesenerfolg. Angesichts der sich abzeichnenden Stärke der Islamisten in Weltuntergangsstimmung zu verfallen, wäre verfrüht. Wer wundert sich wirklich, dass die Liberalen in den besseren Vierteln von Tunis ihre Unterstützer haben, die arme Landbevölkerung aber religiös-konservativ wählt? In einem Land ohne demokratische Strukturen und breite Bildung sowie jahrzehntelang mit einer korrupten Clique an der Spitze ist und bleibt der Ortsgeistliche zunächst höchste moralische Instanz. Wahlen allein schaffen keine politisch-demokratische Kultur, wie die Beispiele Irak und Afghanistan zeigen. Außerdem gibt es berechtigte Hoffnung, dass Islamistenschef Rachid Ghannouchi keine größeren Bündnispartner findet. Sollte seine Ennahdha-Bewegung deutlich unter der 50-Prozent-Marke bleiben, dürften sich die vielen Parteien am anderen Ende des politischen Spektrums gegen ihn zusammenschließen. Auch beim Blick auf die Islamistenszene im Reformstaat Ägypten gibt es gottlob nicht nur die furchtbaren Bilder von Christenverfolgung, politischer Justiz und Unruhestiftern, die religiösen Hass zugunsten der alten Eliten schüren. Denn innerhalb der Muslimbruderschaft zeichnen sich Brüche und liberale Tendenzen ab. Die vom politischem Aufbruch inspirierte Jugend wird selbst in den frommsten Kreisen aufmüpfig. In der Bruderschaft wird inzwischen offen diskutiert - bislang unvorstellbar. Beobachter berichten sogar von einer internen Revolte. Junge Frauen wollen beteiligt werden und nicht nur über Kopftücher diskutieren. Selbst bei den Salafisten, den Frömmsten der Frommen, wird umgedacht. So ist die alte Lehre unhaltbar geworden, wonach Demonstrationen gegen einen Herrscher - und sei er noch so ungerecht - nach islamistischen Regeln nicht erlaubt sind. Auch bricht sich die Erkenntnis Bahn, dass die reine islamische Lehre je staatsferner desto unbeschmutzter bewahrt werden kann. Kurz: Manch finstere Auswüchse des Islamismus erscheinen im Lichte des arabischen Frühlings als Ballast von gestern.
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