Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Ostsee-Pipeline
Bielefeld (ots)
Wollen russische Bürger nach Deutschland reisen, benötigen sie nach wie vor ein Visum. Und wenn sie nicht gerade ein Flugzeug nehmen, führt sie die mühselige Anreise durch mehrere andere Staaten - wahlweise das Baltikum, Polen, die Ukraine, Weißrussland, Moldawien, Rumänien, Ungarn, die Slowakei, Tschechien oder Österreich. Russisches Gas hat es da besser. Seit gestern kann es ohne weiteren Grenzübertritt über 1224 Kilometer direkt von Sibirien über die Ostsee nach Greifswald fließen.
Die Inbetriebnahme des ersten Strangs der Nord Stream ist gestern groß gefeiert worden. Und tatsächlich bringt die neue weltweit längste Gas-Pipeline vielen Beteiligten wie Russland, Deutschland und anderen Staaten in Westeuropa große Vorteile. Der Umweg über die Ukraine und Weißrussland kostete in der Vergangenheit nicht nur Gebühren. Unterwegs ging auch mancher Kubikmeter verloren. Und wenn Russland deshalb oder wegen Forderungen der Transitländer zu harsch reagierte, dann floss in den vergangenen Wintern auch mal tagelang gar nichts durch die Röhren. Das ist künftig ausgeschlossen. Deutschland und Westeuropa sind, was die Gasversorgung betrifft, nun nur noch von Russland abhängig.
Von Vorteil ist die Pipeline auch, weil hier zu Beginn der Energiewende, in der Deutschland die Kernkraft ersetzen will, beim Gas ein Überschussmarkt entsteht. Einziges Hindernis für fallende Preise ist im Augenblick noch die Bindung an den Heizölpreis. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass das alte Preisfindungssystem die Fertigstellung der Pipeline lange überleben wird.
Die Politiker - von den »lupenreinen Demokraten« Wladimir Putin und Dmitri Medwedew über Altkanzler Gerhard Schröder, der dieses unsinnige Wort geprägt hat, bis zu seiner Nachfolgerin Angela Merkel, Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy und EU-Kommissar Günther Oettinger - lassen sich feiern.
Dabei wollen sie sich dieses seltene Ereignis auch nicht von denen vergällen lassen, die abseits stehen. Dazu zählen natürlich Polen, Weißrussland und die Ukraine. Auch die Nenzen, die als eines der weltweit letzten nomadischen Völker dort leben, wo die Pipeline ihren Ausgang hat, sind den Verlierern zuzurechnen. Denn auf der Halbinsel Jamal im Nordwesten Sibiriens ist die Natur durch die Rohstoffgewinnung in einer Weise zerstört, dass sie ihre traditionelle, auf Rentierjagd basierende Lebensweise nicht mehr fortführen können. Nicht zuletzt finden sich auch Ostseefischer bei den Verlierern. Der Bau der Pipeline hat insbesondere den Heringsbestand weiter reduziert.
Wirtschaftlich ist Russland durch Nord Stream an Westeuropa herangerückt. Für eine tiefe Freundschaft darf das aber nicht reichen. Dazu müsste sich Moskau auch in Sachen Demokratie und Menschenrechte den hiesigen Grundsätzen ein großes Stück annähern. Für eine Pipeline der guten Ideen und der freien Meinung werden aber erst noch Bauherren gesucht.
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