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Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Mord an Lena

Bielefeld (ots)

Erleichterung ist Entsetzen gewichen. Die Hoffnung, der Mord an der elfjährigen Lena sei schnell aufgeklärt worden, hat sich zerschlagen. Der festgenommene Tatverdächtige ist wieder auf freiem Fuß. Alle von den Ermittlern zusammengetragenen Indizien, die sogar einen Haftbefehl zugelassen hatten, sind durch Fakten widerlegt. Diese Erkenntnis ist ebenso fatal wie schmerzlich. Fatal in erster Linie für den 17-Jährigen, der festgenommen und unnötigerweise in Handschellen zum Verhör gebracht wurde. Es ist nicht verwunderlich, dass sich gerade in einer kleinen Stadt wie Emden die Identität des Schülers in Windeseile verbreitete. Das Internet und hier speziell die sozialen Netzwerke tragen mittlerweile maßgeblich dazu bei - und fachen wie in diesem Fall einen Flächenbrand an. Name und Adresse kursierten, wurden nicht nur bei Facebook verbreitet. Mordaufrufe machten die Runde. Vor dem Haus versammelten sich Schaulustige und Medienvertreter, an der Polizeiwache rotteten sich Menschen zusammen, riefen dazu auf, den »Täter« zu lynchen. Das alles ist schon entsetzlich und beschämend genug. Ohne Geständnis und nicht zu widerlegende Beweise gilt nun einmal generell die Unschuldsvermutung. Und das auch bei einem so schrecklichen und unfassbaren Verbrechen wie dem Mord an einem Kind. Der Schutz der Persönlichkeit aber wurde in diesem Fall mit Füßen getreten. Von dem Mob vor dem Polizeigebäude und von den Gaffern am Wohnhaus des 17-Jährigen. Ihm bleibt zu wünschen, dass er die Kraft hat, das unsägliche Geschehen schadlos zu überstehen. Ein Weg, der für einen Heranwachsenden in diesem Alter, also in einer Phase der Selbstfindung, sehr steinig werden kann. Kritik muss in diesem Fall jedoch auch an die Adresse der Medien gerichtet werden. Zu schnell wurde aus dem Tatverdächtigen der Mörder. Eine Vorverurteilung, die es so nicht geben darf. Mit der Bekanntgabe ihrer vorläufigen Ermittlungsergebnisse haben Polizei und Staatsanwaltschaft fraglos einen großen Anteil dazu beigetragen. Auch wenn der Druck der Öffentlichkeit nach einer möglichst schnellen Aufklärung des Mordes an Lena enorm war: Mit ein wenig mehr Zurückhaltung und einer zusätzlichen Portion Sorgfalt wären die Auswüchse trotz der zu dem Zeitpunkt sicher richtigen Festnahme des Tatverdächtigen vermutlich zu vermeiden gewesen. Bei all diesen Gedanken aber darf der unsagbare Schmerz der Angehörigen nicht in Vergessenheit geraten. Sie haben nicht nur ihre Tochter, Schwester und Enkelin auf grausame Art verloren und am Freitag zur letzten Ruhe begleiten müssen - sie müssen vorerst auch ihre Hoffnung begraben, dass Lenas Mörder hinter Schloss und Riegel sitzt und für seine Tat zur Rechenschaft gezogen werden kann. Wenn überhaupt, wird erst das dazu führen, das schreckliche Geschehen zu verarbeiten.

Pressekontakt:

Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261

Original-Content von: Westfalen-Blatt, übermittelt durch news aktuell

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