Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema EU-Rettungsschirm
Bielefeld (ots)
Aussagen von Politikern in der Euro-Zone haben eine immer kürzere Halbwertszeit. Eben noch wollte die Regierung in Madrid die Neuverschuldung bis 2013 auf unter drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts drücken. Nun aber braucht Spanien dringend Geld, um seine in der Krise steckenden Banken zu retten. Dass die Inanspruchnahme des EU-Rettungsschirms sich möglicherweise weiter verzögert, hilft weder dem Land noch dem Euro. Dabei ist es erst fünf Jahre her, dass Unternehmer leuchtende Augen bekamen, wenn sie nach Spanien blickten. Überall wurde gebaut. In den Küstenregionen entstand eine neue Feriensiedlung neben der anderen. Der Staat unterstützte den Boom durch Straßenbau und Solarkraftwerke. Die viertgrößte Volkswirtschaft der Euro-Region marschierte scheinbar unaufhaltsam nach vorne. Aber der Boom endete abrupt. Die Politiker in Madrid begründeten das gern mit der weltweiten Finanzkrise. In Wirklichkeit war der eigene Aufschwung 2008 nur noch auf Sand gebaut. Spaniens Banken zogen ihn künstlich in die Länge, indem sie vielfach ganz auf das Controlling verzichteten. Das konnte nicht gutgehen. Mit steigender Arbeitslosigkeit wurden immer mehr Kredite faul. Und schon steckte das Land mitten im Círculo vicioso - im spanischen Teufelskreis. Im allgemeinen Abschwung fehlte nun auch der Finanzbranche das Geld, um Investitionen zu unterstützen. Der Staat konnte nicht einmal bei der Jugendarbeitslosigkeit - der größten in Europa - gegensteuern. Schließlich nimmt er doch selbst weniger Steuern ein. Die schwindende Bonität tut ein Übriges, um die Refinanzierung des Staates zu erschweren - auch wenn Spanien in dieser Hinsicht gerade erst noch einmal mit einem blauen Auge davon gekommen ist. Wer sich in einem Teufelskreis befindet, darf nicht nur auf der Bremse stehen. Auf diese Weise zögert er das Ende vielleicht hinaus, aber er kann es nicht verhindern. Das gelingt nur dem, der aus dem Teufelskreis heraustritt und handelt. Darum geht es, wenn auswärtige Politiker Spanien die Inanspruchnahme des Rettungsschirms empfehlen. Dass er mit Bedingungen verknüpft ist, die nicht nur Machos, sondern jedem Demokraten unter die Haut gehen, ist klar. Doch in diesem Fall sollte die Regierung in Madrid über solchen Gefühlen stehen: Besser jetzt als nie. Spanien ist nicht Griechenland. Die Wirtschaft fußt auf einer Industrie, die stark genug ist, den Neuanfang zu stemmen. In jedem Fall wären EU-Gelder zur Rettung der spanischen Banken das kleinere Übel im Vergleich zu einer schweren Wirtschaftskrise. Allerdings häufen sich die »kleineren Übel« in einer Weise, dass das System immer schwerer zu stabilisieren ist. Das von Athen angestoßene Dominospiel droht nicht - es ist schon im Gang. Es wird durch die Fußball-EM möglicherweise für drei Wochen aus den Schlagzeilen verdrängt, bleibt aber auf dem Tisch.
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