Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Löw und der DFB-Auswahl
Bielefeld (ots)
Das jähe Ende einer Dienstreise. So haben die Deutschen das nicht kommen sehen, ihre Enttäuschung über den EM-K.o. hält unvermindert an. Man kann getrost darauf wetten, dass nicht alle DFB-Auswahlspieler gestern Abend vor dem Fernseher gesessen haben, um sich das finale Duell zwischen Italien und Spanien anzusehen. Schmerzlindernde Wirkung entfaltete die Übertragung aus Kiew wohl kaum, waren hier doch die beiden Deutschland-Peiniger der vergangenen Jahre untereinander am Werk.
Um selbst wieder einen Titel zu holen, müsste der dreifache Welt-und Europameister endlich wieder den Siegercode entschlüsseln. Das gelang ihm nun schon seit 16 Jahren nicht mehr, und ob es dann in zwei Jahren bei der Weltmeisterschaft in Brasilien glückt, ist schon aus einem schwerwiegenden geographischen Grund zu bezweifeln. In Südamerika hat sich noch nie eine Mannschaft aus Europa durchgesetzt. Das ist seit ewigen Zeiten Gesetz.
Dies hält Joachim Löw allerdings nicht davon ab, es mit seinem Team zu probieren. Oder soll jetzt etwa eine ernsthafte Diskussion über den Bundestrainer angezettelt werden? Am Wochenende sind weitere Heckenschützen in Stellung gegangen, um sich fies auf den Freiburger einzuschießen. Sie vernachlässigen, dass Löw das Spiel der Nationalmannschaft wieder salonfähig gemacht hat und unter seiner Führung nur sechs von 50 Pflichtspielen verloren gingen.
Ihn in Frage zu stellen, ist unangemessen. Ihm Fragen zu stellen, hingegen nicht. Warum ist sich Löw selbst untreu geworden und hat eine Taktik ausgetüftelt, die mehr auf den Gegner zugeschnitten war als auf die eigenen Leute? Das hätte man sich dann doch viel couragierter vorgestellt. Warum hielt er an Bastian Schweinsteiger fest, obwohl der den 100-Prozent-Fitness-Grundsatz des Trainers nicht erfüllte? Weil Löw offenbar glaubte, auf den Münchener als Führungsfigur mit dem Potenzial zum Mitreißer unter keinen Umständen verzichten zu können. Das berührt jetzt die wohl wundeste Stelle in der Mannschaft. Ihr fehlt es auf der Zielgerade eines solchen Turniers an einer einschüchternden »Die-hauen-wir-jetzt-weg«-Attitüde. Sagen wir salopp: eine Prise Balotelli täte schon ganz gut.
Aber da gibt es bei den Deutschen nicht so viele Typen, die sowas drauf haben, und vom Himmel fällt das Gen zum Gewinnen leider auch nicht. Es ist, wenn es um Finals geht, sogar den Bayern abhanden gekommen, dem Hauptlieferanten der Nationalelf. Es fehlt zudem Joachim Löw, der im sechsten Jahr seiner Tätigkeit und nach drei Turnieren vorerst ein Unvollendeter bleibt. Der Bundestrainer wird in Brasilien Chance Nummer vier suchen. Unwahrscheinlich, dass der 52-Jährige seinen Vertrag anschließend nochmals verlängert. Bis dahin treibt er die Entwicklung seiner Mannschaft voran. Die stoische Selbstverständlichkeit der Spanier, der kleine Sausackfaktor der Italiener, das Abgebrühte eines Turniersiegers - daran mangelt es noch.
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