Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema Anglizismen
Bielefeld (ots)
»Der problembewusste Mensch kann die refined Qualitäten mit spirit eben auch appreciaten.« Jil Sander hat das gesagt, dabei wollte die Modefachfrau bloß die Binsenweisheit übermitteln, dass ihre Kunden originelle Qualitätskleidung lieben. Es gab Zeiten, da galt ein Deutscher als Ausbund an Weltläufigkeit, wenn er den Conférencier zum Showmaster umetikettierte. Seit sich aber in Wort und Schrift die Anglizismen tummeln, reißt die Kritik an der Überfremdung der Sprache nicht mehr ab. Traditionsbewusste Bürger, gelegentlich auch Pädagogen sehen unsere Muttersprache am offenen Grabe stehen, ohne allerdings quantifizieren zu können, wieviele englische Lehnwörter Mutter Sprache denn nun schultern könne, bevor sie unter der Last mit einem letzten Seufzer in die Grube fährt. Die Diagnose - drohender Tod der deutschen Sprache - klingt plausibel. Leider. Doch sobald der Krankheitskeim identifiziert werden soll - angeblich der Anglizismus - trübt sich im bürgerlichen Labor die Linse. Bis zur Verschreibung eines wirkungslosen Rezepts - streiche Airbag, setze Prallsack (und dergleichen Kuriositäten) - ist es dann nur noch ein kleiner Schritt. Anglizismen vermeiden kann jeder. Wer das deutsche Wort liebt, muss ja bei der Weltmeisterschaft nicht mehr zum Public Viewing gehen, er geht ins Fußballkino. Und der wahre IT-Profi hat, kühl bis ans Herz, seinen Computer längst als bloßen Rechner demaskiert. Cool. Noch mal: Anglizismen muss keiner benutzen. Dann ist das fremde Wort tot, es lebe die deutsche Sprache. Entspanntes Zurücklehnen ist angesagt. Ja, wenn das so einfach wäre. Dem Deutschen drohen Gefahren von ganz anderer Seite. Da sitzt das Kleinkind, von gestressten Eltern ruhiggestellt, vor dem Fernseher, aus dem Sätze bar jeder Grammatik quellen, bis es lull und lall ist. In der Schule, wo kreative kleine Sprachbenutzer ihre Workbooks in Würgbucks umgetauft haben, reicht es kaum je zur Bildung vollständiger Sinneinheiten, stattdessen werden Lückensätze mit Einzelwörtern zugestöpselt. Am Ende eines langen Lebens Reise ins Fragment hütet dann der junge Erwachsene einen Wort-»Schatz«, dessen zweiter Wortteil allerdings nur ein Euphemismus ist. Das ist die Stunde des Anglizismus. Dem, der bloß lallt und lollt (von »LOL« = laughing out loud), bietet er die Chance auf ein armseliges Häppchen Bedeutung. »Wer von 'Kids' spricht, will sich anbiedern«, hat der Autor Jens Bisky ganz richtig beobachtet - und sich gefreut, dass man den Schleimer schon an seiner Wortwahl erkennen kann. Jil Sander zum Beispiel. Nicht der Anglizismus killt unsere Sprache. Das besorgen wir ganz ohne fremde Hilfe. Wo die Kunst des Lesens größerer Texteinheiten verkümmert, ist irgendwann auch der letzte deutsche Satz verklungen. Das ist gewiss nicht zu appreciaten. Zu ändern ist es wahrscheinlich auch nicht.
Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261
Original-Content von: Westfalen-Blatt, übermittelt durch news aktuell