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Westfalen-Blatt: zum Thema Erdogan:

Bielefeld (ots)

Die Beziehungen zur Türkei sind für Deutschland von zentraler Bedeutung. Frankreich, die USA und Polen mögen uns näher stehen, aber mit keinem anderen Staat gibt es mehr zu besprechen. Die gemeinsame Themenliste, allem voran der Wunsch Ankaras nach voller EU-Mitgliedschaft, ist altbekannt. Neu ist das wachsende Selbstbewusstsein und die wirtschaftliche Dynamik der Türkei. Das wurde beim Besuch von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan (»Wir erstarken von Tag zu Tag« ) in Berlin überdeutlich. Sein Land werde jeden Beitrag zur Lösung der Euro-Krise leisten, sagte Erdogan und drosch in der Pressekonferenz mit Angela Merkel völlig undiplomatisch auf »Süd-Zypern« ein. Hintergedanke: Das EU-Mitglied entpuppt sich gerade als nächste taube Nuss im Portfolio der Euro-Retter. Genüsslich tönte der Türke: »Wir kommen, um Last zu übernehmen.« Bläst hier einer nur die Backen auf oder steckt mehr dahinter? Volkswirtschaftlich liegt Erdogan richtig, auch wenn der Boom zwischen Istanbul und Antalyas Goldküste am Geldmarkt extrem kurz abgesichert ist. Warnungen vor einer Immobilienblase à la USA und Spanien sind berechtigt. Aber: Der kranke Mann vom Bosporus war gestern. Die türkische Wirtschaft hat die Finanzkrise weggesteckt wie nichts. Mit zehn Prozent Zuwachs löste sie 2011 sogar China als Wachstumslokomotive ab. Auch haushaltspolitisch herrscht strenge Disziplin in Ankara. Die Schuldenquote sinkt, ausgeglichene Haushalte sind nur noch noch eine Frage von Monaten. Das diesjährige Haushaltsdefizit wird sich unter 2,0 Prozent einpendeln. Kurzum: Der EU-Bewerber Türkei erfüllt alle Maastricht-Kriterien - ganz im Gegensatz zu den meisten EU-Mitgliedern. Auch die Ratings stimmen: Standard & Poor's bewertet die Türkei mit BB+ und nennt, unisono mit Moody's, den Ausblick »positiv«. Problematisch bleibt das Lohnniveau. Die übergroße Mehrheit in Industrie, Landwirtschaft und Gewerbe erhält lediglich den offiziellen Mindestlohn von umgerechnet 385 Euro im Monat. Diese Zahl aus der offiziellen Statistik muss nicht stimmen. Die enorme Schattenwirtschaft mit unversteuerten Handgeldern und »under table commissions« wird nicht berücksichtigt - womit ein schwer wiegendes Beitrittshinderniss nur angetippt ist. Wackelig wird es auch bei »weichen« Kriterien wie Menschenrechte, Religionsfreiheit und Chancengleicheit. Der Umgang von Polizei und Justiz mit den eigenen Bürgern lässt zu wünschen übrig. Der Protest von Tausenden Menschen in Berlin war absolut berechtigt. Sie beklagten die »antidemokratische Politik« des AKP-Chefs. Das Land ist wirtschaftlich stark wie nie, aber noch unreif im Innern. Aber mehr als alles andere steht der Regierungschef mit seinem überzogenen Auftreten Fortschritten der Türkei auf internationalem Parkett im Wege.

Pressekontakt:

Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261

Original-Content von: Westfalen-Blatt, übermittelt durch news aktuell

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