Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur privaten Überschuldung
Bielefeld (ots)
Vordergründig sind es »nur« ein paar Zehntelprozentpunkte, um die sich 2012 die Zahl der überschuldeten Menschen in Deutschland erhöht hat. Doch dahinter stecken viele persönliche Einzelschicksale - und ein gesamtgesellschaftliches Problem. Dass selbst die niedrigste Arbeitslosenquote seit 20 Jahren und überdurchschnittliche Lohnsteigerungen nicht verhinderten, dass bundesweit mehr Menschen in der Schuldenfalle sitzen, ist ein alarmierendes Signal. Natürlich mögen Lohnerhöhungen oder gar die Aufnahme eines Jobs nach Arbeitslosigkeit nicht eine meist über lange Zeit aufgebaute Überschuldung sofort lösen. Natürlich stecken in Schuldnerkarteien viele Fälle wie Privatinsolvenzen, die erst nach Jahren aus den Statistiken verschwinden. Aber es ist offensichtlich, dass immer mehr Menschen hier und jetzt Schwierigkeiten haben, ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Manche sind sicherlich hausgemacht. Da ist die übertriebene Konsumlust, die gar krankhafte Züge annehmen kann. Da ist das Klammern am Lebensstandard, auch wenn sich die Umstände verschlechtert haben. Und eine große Rolle spielt die Trennung vom Partner. Die Entwicklung im vergangenen Jahr, ganz besonders jedoch die Tatsache an sich, dass jeder zehnte Erwachsene in Deutschland als überschuldet gilt, ist aber auch Indikator für schwere gesellschaftliche Probleme: Die Mittelschicht bricht zusehends weg, zumindest die gefühlte Gefahr des sozialen Abstiegs wächst stetig und die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich weiter. Die Zahl der Menschen in Niedriglohn- oder Teilzeitjobs, die mit dem Gehalt nicht ihren Lebensunterhalt bestreiten können, ist deutlich gestiegen. Mit knapp acht Millionen hat sie 2012 einen neuen Rekord erreicht. 1991 gingen gerade einmal 4,25 Millionen Arbeitnehmer einer so genannten atypischen Beschäftigung nach. Und es gibt eine moralische Komponente: Rückläufige Schuldnerquoten in den Vorjahren führten Experten auf Konsumverzicht zurück. Doch diese Phase scheint vorbei, Leben auf Pump ist für einige selbstverständlich. Das liegt auch an schlechten Vorbildern. Dass selbst der deutsche Staat trotz Steuereinnahmen in Rekordhöhe Schulden auf- statt abbaut, ist kein leuchtendes Beispiel. Die Finanzkrise, seit der Milliardensummen normal geworden sind wie zuvor Millionenbeträge, tragen ihren Teil zur Abstumpfung und Verrohung der Zahlungsmoral bei. Die staatliche Antwort darauf scheint zu sein, zumindest einigen Schuldnern künftig einen Neuanfang nach drei Jahren zu ermöglichen. Noch wichtiger aber wäre es, vorbeugend tätig zu werden. Gerade die starke Zunahme der Schuldenproblematik bei jungen Leuten sollte Anlass sein, zu Schulzeiten dem Umgang mit Geld eine angemessene Bedeutung einzuräumen. Wer nur ausgibt, was er hat, gerät erst gar nicht in die Schuldenfalle.
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