Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Leipziger Buchmesse
Bielefeld (ots)
Der Deutsche liebt die Vorstellung von der Apokalypse. Mehrfach wollte er - wie Beethoven notierte - dem Schicksal in den Rachen greifen, und meistens blieb die Hand drin. So soll es auch jetzt wieder sein: Wo einst am heimeligen Kaminfeuer die Buchseiten raschelten, leuchtet heute bloß das kalte Licht des E-Readers. Auf dem langen Marsch zum Weltmonopol tritt Amazon die kleinen Händler in den Staub, das Heer der Selfpublisher zieht aus, die großen Verleger zu bezwingen. Bang schrieb der »Spiegel«: »Und der Letzte klappt das Buch zu.« Katastrophe. Aber man kann es auch übertreiben. Mittlerweile lesen elf von 100 Deutschen auch mal ein E-Book, und weil elektronische Dateien billiger sind als das gedruckte Buch, sinken die Einnahmen. Das ist ärgerlich, aber nicht der Weltuntergang - sondern eine Herausforderung für jeden Geschäftsmann. Als jüngst einige Buchhändler ihre Knebelverträge mit Amazon kündigten, wandten sich die Kunden nicht etwa ab. Im Gegenteil. Sie attackierten den arroganten Internet-Riesen, und zwar in seinem eigenen Wohnzimmer, im Worldwide Web. Zuguterletzt wecken die PC-Besitzer-Kohorten, die sich heute zur Textproduktion berufen fühlen, eher das Gefühl, man werde von ihnen mit anschwellendem Bockmist zugedeckt. Wer möchte den ganzen Schrott weglesen? Möge das Netz mit ihm sein. In den etablierten Verlagen hingegen kommt es auf das Gespür für literarische Qualität an. Die wird, einmal entdeckt, mit klugem Marketing, mit wirksamer Pressearbeit und mit - jawohl - modernen Social-Media-Kampagnen gestützt. Eben dafür hat sich gerade der Erfolgsautor Rolf Dobelli beim Hanser-Verlag bedankt, in dem er publiziert. Die großen Häuser haben sich ja nur deswegen gehalten, weil sie auf das Prinzip der Mischkalkulation vertrauten. Das heißt, viele in der Herstellung billige Bücher werden teuer verkauft, um einige wenige Prachtbände günstig abgeben zu können. Ferner heißt das, ein massentauglicher Bestseller muss her, um zahlreiche im Verborgenen glänzende Perlen attraktiv auspreisen zu können. Wer dieses Geschäft beherrscht, muss das E-Book nicht fürchten. Die Buchhändler ihrerseits setzen, wenn sie schlau sind, auf Beratung. Dafür sollten sie selbst viel lesen, und dafür müssen sie im persönlichen Gespräch erspüren, was dem Kunden gefallen könnte. Vielen Händlern gelang das schon, lange bevor der erste E-Reader an der Steckdose baumelte. Längst gibt es eine Software, die dem Dichter die Arbeit abnimmt. Handlungsverläufe? Spannungsbögen? Krachendes Finale? Macht alles der Computer. Auch Dan Browns Thriller sind, wie der Autor einräumte, auferstanden aus Platinen, Digitalem zugewandt. Na und? Davon geht die Welt nicht unter. Der Deutsche übertreibt bloß gern ein bisschen.
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