Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Zinspolitik der EZB
Bielefeld (ots)
Es gab eine Zeit, und so lange ist sie gar nicht her, da galt Sparsamkeit als Tugend. Heute ist Sparsamkeit eine Dummheit - jedenfalls aus ökonomischer Sicht. Das erste Mal sind Deutschlands Sparer 1923 grausam bestraft worden. Damals hat die Hyperinflation die Geldbesitzer fast über Nacht enteignet. Derzeit werden die Vermögen schleichend und ohne Inflation entwertet - ohne Aussicht auf baldige Besserung. Am 2. Mai 2013 hat die Europäische Zentralbank (EZB) alle Finanzexperten, die glaubten, nun könne der Leitzins nicht noch weiter in den Keller rutschen, eines anderen belehrt: Sie senkte ihn noch einmal um 0,25 Prozentpunkte auf 0,5 Prozent. Aus deutscher Sicht macht diese nochmalige Absenkung überhaupt keinen Sinn. Doch die deutsche Sicht ist bei der EZB nicht allein ausschlaggebend. Erklärtes Ziel von EZB-Präsident Mario Draghi ist es, die Konjunktur, die in Südeuropa am Boden liegt, aufzurichten. Als ob ein Viertelprozentpunkt irgendetwas ausrichten könnte! Sicher, der Autokäufer, der den neuen Wagen mit 20 000 Euro fremdfinanzieren muss, nimmt die 50 Euro, die er dafür im ersten Jahr - später weniger - spart, gerne mit. Aber er wird den Autokauf nie und nimmer von diesem Betrag abhängig machen. Ebenso wenig wird der Unternehmer eine neue Halle deshalb bauen oder die neue Maschine eher kaufen, weil er für sein Darlehen ein um einen Viertelprozentpunkt verringerten Zins bezahlen muss. Betriebe investieren, weil sie sich eine angemessene Rendite versprechen - und vielleicht auch, weil sie der Konkurrenz nicht den Vorsprung überlassen möchten. Den etwas günstigeren Zinssatz nehmen sie mit, ohne dass er aber die Entscheidung beeinflusst. Sicher, die sogenannten Märkte ticken in dieser Hinsicht anders. Hinzu kommt das Interesse der Staaten, die die Zinslast ihrer enormen Schulden auf diese Weise real eleganter reduzieren als mit dem althergebrachten ungeliebten Mittel der Inflation. Für den Sparer aber läuft es aufs Gleiche hinaus: Am Jahresende ist sein Erspartes inklusive Tagesgeldzins weniger wert. Vielleicht weist sein Sparbuch statt 100 jetzt 100,75 Euro aus. Doch die Hose, die er dafür kaufen wollte, kostet jetzt 102 Euro. Nicht zuletzt entzieht der Niedrigzins auch den Lebensversicherungen ihre Berechnungsgrundlage. Wohl gibt es Möglichkeiten, eine höhere Rendite zu erzielen - zum Beispiel mit Aktien, Unternehmensanleihen oder höher verzinsten Staatsanleihen. Doch haftet an diesen Anlageformen immer ein höheres Risiko. Das wird derjenige, der nur zockt, achselzuckend wegstecken. Dem kleinen Sparer aber, der das Alter oder die Ausbildung der Kinder im Blick hat, entzieht es die Grundlage. Die EZB ist mit der Niedrigzinspolitik nicht allein. Fast im Gleichschritt marschiert die Fed in den USA. Beide sollten damit aufhören. Dass es nichts bringt, zeigt Japan. Dort hat die Zentralbank Jahrzehnte versucht, so die Konjunktur anzukurbeln - vergebens.
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